Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Nutzwert- und Verbraucherthemen gewinnen Bedeutung

Der Journalist als Ratgeber

„Wie macht man Rührei?“ Eine einfache Frage, und spontan wird wahrscheinlich jedem von Ihnen die Antwort einfallen. Und dennoch ist das eine der beliebtesten Suchanfragen bei Google, wenn man „Wie macht“ eintippt und wartet, was Google vorschlägt. Alternativen sind übrigens noch „Wie macht der Fuchs?“ und „Wie macht man Zuckerguss?“ (s.u.). Auf diese beiden Fragen kommt die Antwort vielleicht nicht mehr so spontan.

Natürlich hält das Internet auf alles eine Antwort bereit. Ob das dann die beste und richtige ist, steht auf einem anderen Blatt. Wenn das Rührei misslingt, ist das kein Weltuntergang. Wer einem Rat in Geldfragen blind folgt, könnte sein Erspartes in den Sand setzen. Und wer seine Symptome googelt, statt zum Arzt zu gehen, spielt  vielleicht mit seiner Gesundheit. In solchen Themengebieten können Journalisten neben der reinen Information etwas sehr Wichtiges bieten: Orientierung.

Guter Rat muss nicht teuer sein

Denn diese Einordnung von Informationen wünschen sich Menschen. Und in Zeiten, in denen das Leben um uns herum ständig komplexer wird, ist guter Rat eben besonders gefragt, wenn auch nicht unbedingt teuer. Viele Fragen, die früher eher im Familien- und Freundeskreis gestellt wurden, beantwortet heute das Internet. In der gerade veröffentlichten Studie „internet facts 2013-09“ der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) steht das Ratgeber-Portal gutefrage.net auf Platz 3 der Internetseiten mit den meisten Besuchern in Deutschland. Mehr als 17 Millionen Menschen suchen dort jeden Monat Rat zu allen erdenklichen Themen. Dabei betont gutefrage.net ausdrücklich, dass keine der Antworten geprüft wurde. Jeder Nutzer kann Fragen beantworten, egal wie absurd oder falsch die Antwort ist. Das Portal gutefrage.net ist dabei nur eine der Anlaufstellen im Netz, wenn auch die größte. Viele andere Ratgeberseiten wie „Frag Mutti“ und „Frag Vati“ decken große Bereiche des Alltagslebens ab. Darüber hinaus widmen sich unzählige Spezialseiten und Foren Nischenthemen wie der perfekten Zubereitung von Sushi-Reis.

Für viele Fragestellungen haben diese Seiten ihre Berechtigung. Wenn der Rotwein auf der weißen Couch gelandet ist, wird niemand erst am Kiosk nach dem passenden Magazin mit den passenden Reinigungstipps suchen. Wer aber die passende Lebensversicherung sucht, für den könnte es sich lohnen, nicht auf die „Weisheit der Masse“ zu setzen, sondern auf gut recherchierte Informationen. Auch Medien wie Spiegel Online bieten oft entsprechende Service-Angebote, die meist von Partnerunternehmen zugeliefert werden. Der Benzinpreisvergleich bei Spiegel Online kommt von clever-tanken.de, der Tagesgeldrechner beim Kölner Stadt-Anzeiger vom Verbraucherportal Biallo.

Haushaltstipps, Preisvergleiche und Veranstaltungskalender – wo genau fängt Nutzwertjournalismus an? Echter Nutzwertjournalismus bietet einen Mehrwert bei Themen, die für viele Menschen Bedeutung haben. Als Verbraucher können wir diese Relevanz ein Stück weit an uns selbst messen, etwa bei den Themen Altern und Pflege, mit denen sich die meisten früher oder später befassen müssen. Bei Allergien und Krankheiten, die schon in jungen Jahren das Leben stark beeinträchtigen können. Oder bei Fragen wie Wohneigentum oder Mieterrechten. Neben solchen „zeitlosen“ Themen gibt es auch solche, die vom Zeitgeschehen beeinflusst werden. Wenn wie im April eine Fabrik in Bangladesch einstürzt, interessieren sich die Menschen für die Bedingungen, unter denen ihre Kleidung hergestellt wurde. Hier ist es Aufgabe der Medien, die Angaben der Hersteller zu den Produktionsbedingungen zu prüfen und den Lesern oder Zuschauern die gewünschten Informationen zu liefern.

Eine begründete Position

Die Themenrelevanz ist das eine, die Umsetzung das andere: Sie erfordert mehr als das übliche journalistische Informieren. „Viele Journalisten sind es nicht gewohnt, einen klaren Standpunkt einzunehmen. Im Nutzwertjournalismus muss ich aber eine begründete Position einnehmen“, erläutert Andreas Eickelkamp. Er hat gemeinsam mit Jürgen Seitz das Buch „Ratgeber – Basiswissen für die Medienpraxis“ geschrieben, das im November erschienen ist (s. Seite 16). Beide Autoren bearbeiten seit Jahren Verbraucherthemen – Eickelkamp als freier Journalist, Seitz als leitender Redakteur in der Wirtschaftsredaktion des Bayerischen Rundfunks.

Das Kerngeschäft des Nutzwertjournalismus sieht Eickelkamp in der Komplexität des heutigen Lebens. Vor 20 Jahren musste sich eben noch niemand mit Stromtarifen beschäftigen. Neben den liberalisierten Märkten sind in vielen Bereichen für Verbraucher weitere Felder mit hohem Erklärungsbedarf hinzugekommen, etwa die private Altersvorsorge.
Natürlich gibt es auch hier die passenden Anlaufstellen in Netz. Doch viele dieser Ratgeber-, Tarifvergleichs- und Bewertungsportale haben einen Haken. „Ein Vergleichsportal für Hausratversicherungen zeigt Ihnen zwar eine günstige Versicherung, aber das muss nicht die günstigste überhaupt sein. Viele vermeintlich unabhängige Portale gehören dann doch einem Finanzdienstleister“, erklärt Eickelkamp, der 2009 seine Dissertation zum Nutzwertjournalismus verfasst hat.

Er sieht in dieser Art von Journalismus einen stetig wachsenden Bedarf: „Das Internet ist voll von Informationen, und das werden auch immer mehr. Das gilt aber nicht für die Angebote, die die Informationen auch einordnen. Spätestens da brauchen Sie den klassischen, unabhängigen Journalismus, der sich nicht an den Interessen einzelner orientiert.“ Ein Vorbild sieht er hier in der Stiftung Warentest, die im gedruckten Heft und im Internet unabhängige Informationen bietet (s. Kasten "Gute Geschäfte mit Produkttests").

Eigentlich müssen sich Medien, die ihren Rezipienten Nutzwert bieten wollen, nur auf ihre traditionelle Stärke besinnen: die Einordnung. Das Credo der beiden Buchautoren: Guter Nutzwertjournalismus ordnet ein und bezieht einen Standpunkt. Dieses Urteil muss transparent und nachvollziehbar sein. Doch das hat auch seine Tücken. So ist es zum Beispiel die Aufgabe des Journalisten oder der Redaktion, zu entscheiden, welche Faktoren in einem Test stärker und schwächer zu gewichten sind. Dabei muss der Journalist die Perspektive seiner Rezipienten annehmen. Diese sollen sich in ihrem Alltag angesprochen fühlen und suchen neben der Information auch klare Handlungsanweisung.

Das sieht auch Björn Schmidt so. Das langjährige Mitglied der Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers und heutiger Geschäftsführer der Digital-Einheit DuMont Net sieht unseren Berufsstand in der Pflicht: „Journalisten müssen heute vielschichtig aufklären, statt nur nachzuerzählen. Die Themen müssen breiter – mit mehr Service – angegangen werden. Wenn ich über die Krise in Griechenland berichte, muss ich dem Leser auch Fragen beantworten wie ‚Ist es zurzeit sicher, dahin in Urlaub zu fahren?‘ oder ‚Wie sicher ist mein Geld? ‘.“ Insofern hat Nutzwertjournalismus seine Berechtigung längst auch in den „normalen“ Ressorts. Der Kölner Stadt-Anzeiger setzt darüber hinaus auch in seiner täglichen Beilage, dem Magazin, stark auf Nutzwertjournalismus. 

Viel Sendezeit für Service

Aber der findet natürlich nicht nur gedruckt und im Netz statt. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender wie der WDR sind in diesem Genre präsent. 1972 begann bei WDR 2 die Ära der Quintessenz, die als ein Maßstab für guten Verbraucherjournalismus im deutschen Hörfunk gilt. War die Quintessenz früher auf einem festen Sendeplatz am frühen Nachmittag zu finden, sind die Beiträge nun über den ganzen Tag verteilt. Beispielsweise sendet die Redaktion den Kaffeebohnen-Test zur Frühstückszeit.

Das WDR-Fernsehen pflegt eine ganze Reihe von Nutzwertformaten. Dazu gehören die tägliche „Servicezeit“, „Der große Haushaltscheck“ mit Yvone Willicks und der „Vorkoster“ mit Sternekoch Björn Freitag sowie die „Markenchecks“, eine Sendereihe, die regelmäßig für Diskussionen sorg und für die der WDR jüngst – nach einer Programmbeschwerde – eine Überprüfung angekündigt hat.

Warum der WDR dem Genre so viel Raum widmet, verrät Irmela Hannover, Programmgruppenleiterin Service und Verbraucherfragen im WDR Fernsehen: „Wir als öffentlich-rechtlicher Sender können unabhängig von Unternehmen und Marken agieren. Dabei kommt uns unsere hohe Glaubwürdigkeit zugute. Der Stellenwert der Verbraucherthemen ist bei uns schon seit vielen Jahren sehr hoch und wird auch immer größer.“ Die große Zahl an Fachleuten, die sich mit den Themen regelmäßig beschäftigen, sorgt für ausreichende Kompetenz in den eigenen Reihen.

Im WDR hat man über die Jahre beobachtet, dass die Verbraucher kritischer geworden sind und viele Aspekte des Konsums sensibler bewerten. Nur immer das Billigste zu nennen führt nicht weiter, die Zuschauer interessieren sich zunehmend für Nachhaltigkeit. Auch die Transparenz oder Intransparenz vieler Unternehmen sind Themen, die die Redaktionen aufgreifen. „Wichtig ist, dass man einen Ansatz wählt, der die Zuschauer packt“, sagt Irmela Hannover. Konkrete Fälle seien dafür sehr gut geeignet, wenn sie unterhaltsam und spannend verpackt werden können.

So geht Nutzwertjournalismus

Themenwahl

  • Nutzwerttexte sind in der Regel nicht von einem Ereignis abhängig. Die Redaktionen wählen stattdessen relevante Themen anlassbezogen aus. Das können zum Beispiel auch Gesetzesänderungen sein.
  • Für das Thema besteht allgemeines oder zumindest breites Interesse.
  • Oder es betrifft jeden, auch wenn es ihn noch nicht interessiert. Die Redaktion muss dann auch die Relevanz erklären.
  • Manche Themen sind immer relevant, etwa Fragen zu Verträgen im Alltag.

 

Recherche

  • Die Recherche für Nutzwert-Beiträge muss transparent und nachvollziehbar sein, sie ist oft aufwändiger als für rein informative Beiträge.
  • Es braucht unabhängig Experten, die einzelne Faktoren bewerten und gewichten können.
  • Es gilt, einen möglichst kompletten neutralen Marktüberblick zu liefern.
  • Rechtliche Absicherung gerade bei kritischen Tests ist das A und O und erfordert gute juristische Beratung im eigenen Haus.

 

Aufbereitung

  • Der Leser will Orientierung: Artikel brauchen deshalb eine konkrete Handlungsempfehlung.
  • Nutzwertjournalismus bietet Hilfe an: Ratschläge, die dazu beitragen, das Leben glücklicher, gesünder oder günstiger zu gestalten.
  • Komplizierte Sachverhalte wie zum Beispiel Fragen der Altersvorsorge werden so dar­gestellt, dass auch Laien sie verstehen und auf ihre Situation übertragen können.
  • Guter Nutzwertjournalismus nutzt gedruckte Infografiken oder interaktive Grafiken online, um zu visualisieren, was nur schwer oder für den Einzelfall zu umfangreich zu beschreiben ist.
  • Nutzwertjournalismus kann nur mit Qualität funktionieren. Und Qualität kostet Zeit und Geld./TS

Gute Geschäfte mit Produkttests

Dass der Nutzwert im Netz nicht verschenkt werden muss, zeigt die Stiftung Warentest. Auf test.de stehen unzählige Produkttests aus dem Archiv des gedruckten Magazins zum Abruf bereit. Interaktive Datenbanken mit Produktübersichten werden ständig aktualisiert. Ein Aufwand, den die Leser honorieren sollen. Es gibt einzelne Tests kostenlos, der Großteil muss bezahlt werden. Dabei sind Preise gestaffelt bis 2,50 Euro die Regel, in Ausnahmefällen mit sehr umfangreichen Tests auch schon mal 3 Euro.
Bei einem Preis von 4,90 Euro für das gedruckte Heft eigentlich kein gutes Geschäft für den Leser. Doch den scheint das nicht weiter zu stören. Der Umsatz für Testberichte und Co. auf test.de stieg von ca. 2,7 Millionen Euro im Jahr 2012 bislang auf über 3 Millionen Euro in diesem Jahr (Stand Mitte November). Dabei sind November und Dezember regelmäßig noch einmal starke Monate für die Abrufzahlen. test.de-CvD Lutz Wilde schätzt, dass am Ende des Jahres der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um bis zu 40 Prozent gestiegen sein wird. Die hohe Steigerung erklärt er sich so: „Wir haben zum Jahreswechsel zum einen die Navigation verbessert. Viele Tests sind jetzt einfacher zu finden und der Leser erfährt genau, was ihn beim Kauf erwartet. Zum anderen haben wir das Bezahlfenster so gestaltet, dass sofort klar ist, mit welchen Zahlungsmethoden bezahlt werden kann.“ Auch die Bezahlmethoden selbst sind einfach und kommen ohne komplizierte Registrierung aus. So kann zum Beispiel mit dem Handy über die Handyrechnung bezahlt werden, indem man einfach seine Handynummer eingibt und den Kauf mit der dann per SMS zugesandten TAN bestätigt.
test.de bietet ebenfalls ein Flatrate-Modell an, bei dem für 7 Euro monatlich der unbegrenzte Zugriff auf das Online-Angebot gewährt wird. Wer den Zugriff für ein Jahr im Voraus abonniert, zahlt 50 Euro. Abonnenten der Print-Ausgaben von test oder Finanztest erhalten die Flatrate für 25 Euro. Wer beide Hefte im Abo bezieht, erhält die Flatrate für test.de kostenlos zum Abo dazu./TS

Der Ratgeber für Ratgeber-Journalisten

Frisch erschienen ist das Buch „Ratgeber. Basiswissen für die Medienpraxis“ von Andreas Eickelkamp und Jürgen Seitz. Es ist nicht nur eine wissenschaftliche Abhandlung über den Nutzwertjournalismus, sondern selbst ein Ratgeber. Hier wird dieser Journalismus­bereich definiert und eingeordnet; anhand von Beispielen und Kurzinterviews kommt dem Praxistransfer eine tragende Rolle zu. Wer sich für Nutzwertthemen und die Herangehensweise bei diesen Themen interessiert, kann mit diesem Buch zum einen seine bisherige Arbeit kritisch reflektieren, zum anderen neue Themen mit diversen Checklisten erarbeiten. Darüber hinaus sind Recherchetipps und Hinweise zu Rechtsfragen zu finden. Wer von der wissenschaftlichen Theorie nicht lassen kann, findet auch Hinweise zur empirischen Forschung im Nutzwertjournalismus.
Andreas Eickelkamp, Jürgen Seitz: Ratgeber. Basiswissen für die Medien­praxis
Halem, ISBN 3869620250, 19,50 Euro

Im Internet sieht der WDR eine gute Ergänzung des Angebots, da die Inhalte und Informationen zu den Sendungen dauerhaft abrufbar sind. Online strahlt so die Marke WDR, auch wenn er sich bei den Service-Themen wieder mit gutefrage.net und Co. messen muss.

Es geht ums Geld

Die Glaubwürdigkeit etwa beim WDR wird zwar vom Zuschauer geschätzt, vielen Unternehmen ist sie jedoch ein Dorn im Auge. Sie fürchten Umsatzeinbußen, wenn kritisch über sie berichtet wird. Da werden des Öfteren auch Rechtsabteilungen und Gerichte bemüht. „Man muss wirklich absolut wasserdicht recherchieren, um bei Beschwerden oder Klagen etwas in der
Hand zu haben“, sagt Hannover. Denn solche Beschwerden „können das Tagesgeschäft empfindlich belasten und die Redaktion schnell mal lahm legen“. Die Buchautoren Eickelkamp und Seitz sehen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier in einer Führungsrolle. Von der professionellen Unterstützung durch die Justiziariate der Sender würde auch die Folgeberichterstattung in der Presse profitieren.

Druck bei schlechten Bewertungen

Beschwerden und Klagedrohungen sind ein Problem, von dem der WDR nicht alleine betroffen ist. Auch die Stiftung Warentest muss sich regelmäßig für negative Testergebnisse rechtfertigen. Erst im Oktober kündigte ein Hersteller von E-Bikes eine Schadensersatzklage gegen die Stiftung an. Schlechte Bewertungen im Test-Heft hätten bei ihm und zwei weiteren Unternehmen einen zweistelligen Millionenschaden verursacht.

Dabei kommt den Redaktionen, die sich mit Nutzwert- und Verbraucherthemen befassen, sicher auch zugute, dass sich die Rechtsstellung der Verbraucher verändert hat. Das entsprechende Leitbild des Europäischen Gerichtshofs spricht von den „informierten, selbstständigen und mündigen Verbrauchern“. Zu Deutsch: Der Verbraucher soll sich bitte selbst einen Überblick verschaffen, der Staat kann sich nicht um alles kümmern. So bleibt die Aufgabe der Verbraucheraufklärung an den Medien hängen.

Wenn es etwas wie im Internet gratis an jeder virtuellen Ecke gibt, ist es naturgemäß schwer, damit noch etwas zu verdienen. Die Anbieter von Ratgeber- und Verbrauchsportalen machen ihr Geld in der Regel mit der Vermittlung – zum Beispiel einer Versicherung oder eines Stromvertrags. Zumindest bringt die angezeigte Werbung noch Einnahmen.

Für den unabhängigen Journalismus scheint da wenig Spielraum zu bleiben. Anders als viele Medien verschenken die Stiftung Warentest und Magazine wie Guter Rat ihre Inhalte online nicht. Die Stiftung Warentest verdient jetzt schon gutes Geld im Internet (s. Kasten "Gute Geschäfte mit Produkttests"). Künftig werden aber mehr Medien auf „Verkaufen“ als auf „Verschenken“ setzen, meint Buchautor Eickelkamp: „Sobald es im Internet ein Bezahlmodell gibt, das sich durchsetzen kann, werden wir hier weitere Angebote sehen. Das kann aber noch ein bis zwei Jahre dauern.“ Dann würden wesentlich mehr Verlage Inhalte wie Tests gegen Bezahlung auch online zur Verfügung stellen.

Dafür gibt es gute Gründe: Denn Nutzwertjournalismus ist vergleichsweise teuer. Er erfordert intensive Recherche, aufwändige Tests und zusätzlich eine starke Haltung gegenüber der Anzeigenabteilung. Die vollständige Unabhängigkeit wie bei der Stiftung Warentest wird dagegen in kaum einer Redaktion zu erreichen sein. Das Magazin Focus, das in der Vergangenheit viele Nutzwertthemen wie Ärztelisten auf dem Titel hatte, wird nach Ankündigung des Chefredakteurs Jörg Quoos die Häufigkeit dieser Themen reduzieren. Dabei widmeten sich zwischen 1998 und 2003 mehr als die Hälfte aller Focus-Titelgeschichten Verbraucherthemen.

Interessant gerade für Freie

Gerade für freie Journalisten ist Nutzwert in Verbindung mit einem relevanten Thema eine gute Möglichkeit, sich am Markt zu positionieren. Weil die Redaktionen schrumpfen, muss das Know-how für Verbraucherthemen meist zugekauft werden. Vorausgesetzt, das Medienunternehmen hat begriffen, dass es mit Nutzwert Geld verdienen kann.

Die Kunden von Jörg Stroisch scheinen das jedenfalls erkannt zu haben. Der freie Journalist aus Köln bedient mit seinem Journalistenbüro seit Jahren den Markt mit Verbraucherthemen. Durch seine erste Redakteursstelle bei Gruner + Jahr kam er mit diesem Arbeitsfeld in Berührung und ist ihm bis heute treu geblieben: „Ich mache das gern und bin sehr glücklich damit. Das Genre ist sehr interessant und die Spezialisierung ist sinnvoll.“ Immobilien, Versicherungen und Altersvorsorge seien Dauerbrenner. Hinzu kommen in letzter Zeit mehr Anfragen zu Rechtsthemen mit Bezug zum Internet. So ist er sich sicher: „Der Bedarf an Verbraucherjournalismus wird weiter steigern.“

Spezialisierung lohnt sich

Die Spezialisierung lohnt sich. Mittlerweile beschäftigt Stroisch eine in Teilzeit angestellte Redakteurin. Gemeinsam mit anderen freien Kollegen arbeitet er regelmäßig an größeren Aufträgen wie Kundenzeitschriften oder der redaktionellen Betreuung von Portalen wie meineimmobilie.de und liefert Artikel für die Service-Seiten mehrerer Tageszeitungen. Angehenden Verbraucher-Journalisten rät er, sich in die jeweilige Materie tief einzuarbeiten, um sich nicht von der Unternehmens-PR der Finanzindustrie blenden zu lassen.

Auch sonst bietet das Internet freien Journalisten eine Chance, mit Nutzwertthemen Geld zu verdienen. Denn viele Unternehmen versuchen sich von ihren Mitbewerbern abzuheben, indem sie journalistische Nutzwert-Artikel einstellen. Dafür geben Firmen für ihre Webseiten Ratgeberartikel, Glossare und andere klassische journalistische Artikel in Auftrag. Diese Inhalte sollen die Auffindbarkeit in den Suchmaschinen verbessern und die Verbreitung der Artikel in sozialen Netzen fördern.

Selbstverständlich sollten solche Formen von Content Marketing, Corporate Publishing und anderen unternehmensbezogenen Auftragarbeiten  klar von echten journalistischer Arbeiten abgegrenzt werden sollten.||

Timo Stoppacher

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