Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Technik, Handwerk oder Marketing: Was sollen Journalisten heute lernen?

Offen bleiben für Neues

Auch wenn Gier als schlechte Eigenschaft gilt, für Journalisten ist das Gieren nach Neuem Teil des Berufs und damit unabdingbar. Selbstverständlich halten sie sich auf dem Laufenden, wollen die ersten sein, die wissen, was in „ihrem“ Gebiet passiert – sei es eine Region oder ein Themenspektrum. Doch sollte die Neugier wirklich schon auf dieser inhalt­lichen Ebene ­enden? Was ist mit neuen Technologien und A­rbeitsweisen im Journalismus? Denn mit der Digialisierung und dem Internet entsteht ständig etwas Neues. Nicht nur die Technik ändert sich in rasantem Tempo, auch der Journalismus selbst und die Arbeits­bedin­gungen im Journalismus unterliegen dem Wandel – in allen Medienbereichen. Um dafür gewapp­net zu sein, müssen Journalisten ­immer offen für Neues sein.

Journalistische Tugenden und Technik

Was sich nicht ändert, sind die klassischen journalistischen Tugenden, an denen natürlich niemand rütteln möchte: Sauberes Arbeiten, Recher­che, Sprachgefühl und ein ­Gespür für Themen führen die Hitliste der erforderlichen Qualifikationen klar an, das zeigten die Recherchegespräche für diesen Artikel genauso wie die Blogparade zum Thema „Was müssen Journalisten heute lernen?“ (siehe Seite xxx).

Hinzu kommen eben immer öfter digitale Werkzeuge. „Haltung, Handwerk und neue Technologien“ – so fasst Leonhard Ottinger, Geschäftsführer der RTL-Journalistenschule, die heutigen Anforderungen zusammen. Die Technik ist gerade im TV-Journalismus ein zentrales Thema: „Wir haben wesentlich komplexere Systeme als noch vor einigen Jahren. Andere Schnittsysteme und die gesamte Disposition erfordern ein hohes Maß an Verständnis für die Technik“, so Ottinger.

Für Journalistinnen und Journalisten in Fernseh- und Hörfunkredaktionen ist das eigentlich nichts Neues, sie müssen sich seit langem regelmäßig auf neuen Systemen schulen lassen. Und auch in Print-Redaktionen wurden seit dem Abschied von der Schreibmaschine Schlag auf Schlag immer mehr technische Aufgaben auf die Redaktion übertragen. Heute werden die Meldungen des Tages zwischendurch getwittert. Und Reporter veröffentlichen von unterwegs mit dem Smartphone schon einen Beitrag inklusive Kurzclip auf der Webseite. Ist die Forderung nach Weiterbildung also einfach ein alter Hut? Ja und nein. Denn Arbeitsabläufe ändern sich eher noch schneller, Redaktionsarbeitsplätze werden noch mehr Technikverständnis erfordern. Am Ende der Entwicklungen sind wir jedenfalls noch lange nicht.

Eine Binse: Journalisten sind auch nur Menschen. Keine Binse: Menschen fürchten sich – bewusst oder unbewusst – vor Veränderungen. Diese sorgen an vielen Stellen für Unmut, wenn sich die Anforderungen an die eigene Arbeit plötzlich ändern und man das Gefühl hat, dem nicht gewachsen zu sein. Da verdrängt die Furcht schon mal die Neugier auf die – vielleicht ja auch erfreuliche – Abkehr von der Routine.

Zurücklehnen geht nicht mehr

Früher mag sich der eine oder andere gegen Ende der Berufslaufbahn vielleicht entspannt zurückgelehnt haben – nach dem Motto: „Das haben wir all die Jahre nicht gebraucht, dann muss ich mich damit jetzt auch nicht mehr beschäftigen.“ Heute wäre das keine gute Idee. In Zeiten von Redaktionsschließungen, -verlegungen und Fusionen wird der einzelne Journalist zur Manövriermasse. Da gilt schnell das Gesetz von Angebot und Nachfrage: Wer seinen Job behalten möchte, muss unter Umständen plötzlich ein ganz anderes Stellenprofil erfüllen. Ganz zu schweigen vom flauen Arbeitsmarkt für Journalisten: Ausgeschriebene Stellen sind Mangelware. Und der Nachwuchs geht oft top ausgebildet an den Start und kostet weniger.

Doch was verlangt der Arbeitsmarkt? Sehen wir mal von Regionalzeitungen ab, die per Anzeige freie Mitarbeiter mit „Freude am Verfassen von Texten“ suchen. Mobil sollen die sein und gerne abends und am Wochenende in der Pampa Termine wahrnehmen. Und hauptsächlich für die Freude arbeiten, wie sie nach der ersten Abrechnung feststellen werden.

Wenn mal „echte“ Redakteursjobs ausgeschrieben werden, sind die klassischen journalistischen Kompetenzen wie „gute Schreibe“ und Organisationstalent gefragt, gepaart mit viel Erfahrung und inhaltlicher Kompetenz für bestimmte Themenbereiche.

Weit häufiger sind aber die anderen Stellenangebote zu finden: die für Social-Media-Redakteure, Online-Redakteure oder – ganz im betriebswirtschaftlichen Sinn – „Content-Manager“. Da zeigt der Stellenmarkt, wohin die Reise geht. Ob diese Ausrichtung so bleiben wird, kann niemand vorhersagen. Sicher ist jedoch: „Dieses Internet-Dings geht nicht mehr weg“, wie Karsten Lohmeyer in seinem Blog Lousypennies augenzwinkernd prophezeit (siehe auch "Blogparade: Was Journalisten heute lernen mussen"). Und das „Internet-Dings“ ist nicht statisch, es ändert sich ständig.

Keine Frage: Wer heute als Journalist arbeitet, muss sich mit dem Netz und der dahinterstehenden Technik arrangieren und lernen, sie sich zu nutze zu machen. Und er oder sie muss handwerklich mit diesen Technologien Schritt halten. So rät RTL-Mann Ottinger Journalisten zum Beispiel, sich auf mehr Interaktion einzustellen, die mit dem Internet als Rückkanal zunehmend auch im Fernsehen zur Selbstverständlichkeit wird: „Ich muss meine Einstellung gegenüber dem Zuschauer ändern und überlegen, ob ich ihn zum Beispiel schon in die Recherche einbinde, statt ihm ein fertiges Produkt vorzusetzen.“

Dass Journalismus keine Einwegkommunikation mehr ist, zwingt alle Medienbereiche umzusteuern. Nicht zuletzt ändert sich vielfach auch, wie man Geschichten überhaupt erzählt, im Fernsehen, im Hörfunk, im Netz, aber auch auf dem Papier. Über das, was wir heute machen, werden wir in ein paar Jahren genauso schmunzeln wie heute über einen Beitrag älterer Machart. Mit anderen Worten: Für Journalisten hört das Lernen nie auf.

Jetzt bin ich Chef

Das betrifft auch das Thema Existenzgründung: Wer jetzt im Journalismus startet, findet andere Bedingungen vor als frühere Generationen von Berufsanfängern. Der typische Karriereweg heißt heute oft: freie Mitarbeit, mit Glück ein Volontariat und dann wieder freie Mitarbeit. Und auch viele Ältere machen – ob aus freien Stücken oder aus der Not heraus zum Beispiel nach der Redaktionsschließung – den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie sind jetzt zwar der Chef, merken aber schnell, dass sie sich um alles selber kümmern müssen.

Thomas Riedel gehört zu den jungen Existenzgründung. Der freie Journalist aus Köln ist erst ein dreiviertel Jahr im Geschäft und mit seinem Angebot an Themen scheint er eine gute Lücke gefunden zu haben. Er beschäftigt sich mit Internet sowie dem „Drumherum“ wie Netzpolitik und Gründerszene. SeinVorteil: „Ich habe die Technik schon in den Genen und beherrsche sie. Da kann ich mich viel besser auf das Thema konzentrieren.“ So wird er auch oft für Veranstaltungen gebucht, auf denen er dann zum Beispiel die Live-Übertragung ins Internet abwickelt oder den Event kommentiert.

Seine Fähigkeiten in unternehmerischer Hinsicht schätzt er dagegen noch etwas verhaltener ein: „Am Anfang hatte ich keine Ahnung und sogar ein bisschen Angst vor der geschäftlichen Seite. Da habe ich auch nicht gut kalkuliert und zu niedrige Preise angesetzt.“ Mittlerweile ist Riedel zufrieden mit der Entwicklung seiner Selbstständigkeit und ist sicher: „Unternehmerische Kompetenzen werden für Journalisten immer wichtiger.“

Dem freien TV-Journalisten Nicolas Schweers geht es ähnlich wie Riedel. Nach dem Besuch der RTL-Journalistenschule stand er vor der Herausforderung der Existenzgründung. „Da musste vieles auf einmal geschehen, und man lernt es einfach dadurch, dass man es macht“, erinnert sich der Kölner, der den Fachausschuss Junge Journalistinnen und Journalisten im DJV-NRW leitet. Dazu zählte vor allem alles rund um Steuern und Versicherungen und die Organisation des eigenen Betriebs.

Gut gerüstet fühlt er sich dagegen mit dem journalistischen Handwerkszeug, das ihm die Journalistenschule vermittelt hat: „Wir haben in der Ausbildung viel selber gedreht, das ist ein klarer Vorteil, wenn ich jetzt mit einem Kamerateam unterwegs bin. So weiß ich, worauf es beim Drehen und Schneiden ankommt, und kann so besser mit den Kollegen zusammenarbeiten.“ Für sein eigenes berufliches Weiterkommen möchte sich Schweers in jedem Fall weiterbilden. Er bleibt neugierig.

Werbung für die eigene Arbeit

Gut ausgebildet, aber wenig Ahnung von Vermarktung des eigenen Könnens – so fühlt sich auch Lizzy Geble: „Im Studium bot es sich an, viel auszuprobieren und in alle möglichen Facetten des Journalismus reinzuschnuppern.“ Die Absolventin des Studiengangs Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin hat schon etliche Arbeitsproben gesammelt und mehrere kleine Dokumentarfilme gedreht. Diese stammen allerdings aus dem Studium und einigen Praktika, als sie ihre Beiträge noch nicht unter Marktbedingungen verkaufen musste.

„Aktuell muss ich lange überlegen, wem ich meine Arbeit anbieten kann. Mir fehlen noch die Kontakte“, stellt sie fest. Geble denkt, dass Journalisten heute auf verschiedenen Ebenen kommunizieren können und für ihre Arbeit unterschiedliche Plattformen einsetzen sollen. Auch sie schwört auf die klassischen Tugenden in Verbindung mit dem Internet: „Ein Journalist sollte heute wie früher kritisch sein, hinterfragen können und den Nutzen der Geschichte für den Rezipienten erkennen.“

Das Thema Selbstvermarktung scheint in vielen Journalistik-Ausbildungen noch wenig Platz zu finden. Im erwähnten Studiengang Technikjournalismus liegt der Fokus beispielsweise auf dem handwerklichen Können und dem technischen Sachwissen. „Gute Technikjournalisten werden gesucht, viele arbeiten auch freiberuflich. Deshalb schaffen wir im Studium dafür eine solide Grundlage“, begründet Professor Andreas Schümchen die Ausrichtung in Sankt Augustin. Mit Wahlfächern zur Existenzgründung und Projekten, in denen wie am freien Markt mit Exposees Themen angeboten werden müssen, werde diesem Aspekt Genüge getan. „Natürlich beobachten wir den Arbeitsmarkt für unsere Absolventen sehr genau, um auf Veränderungen angemessen reagieren zu können. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung redaktioneller Apps für das iPad schon sehr früh im Studium“, erklärt Schümchen.

Studiengänge, die auf eine bestimmte Sparte ausbilden, sind an vielen Hochschulen in NRW zu finden. Sie sollen den Nachwuchsjournalisten Sachwissen vermitteln und die spätere Spezialisierung erleichtern. An der Technischen Universität Dortmund gibt es neben dem allgemeinen Journalistik-Studium Angebote wie Wissenschafts-, Musik-, und Wirtschaftspolitischer Journalismus. In Köln bildet die Fachhochschule Online-Redakteure aus, und an der Deutschen Sporthochschule lässt sich Sportjournalismus studieren. Die Fachrichtung PR und Unternehmenskommunikation findet sich neben der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen auch an vielen privaten Hochschulen.

Aber auch wer den Berufseinstieg mit einer soliden journalistischen Ausbildung und mehr oder weniger Spezialwissen geschafft hat, kommt am Weiterlernen nicht vorbei. Nur die Schwerpunkte ändern sich. So werden zum Beispiel für freie Journalisten KSK und Steuern nach einer Weile Routine. Dafür rücken andere Gebiete in den Vordergrund, unter anderem noch wirtschaftlicher zu denken, besser über Aufträge zu verhandeln und sich gut zu vermarkten.

„Journalisten durften sich noch nie auf dem Gelernten ausruhen, es gab und gibt immer Veränderungen“, meint Andrea Hansen. Die freie Fernsehjournalistin aus Münster hat beobachtet, wie der Beruf mehr und mehr von der Technik durchdrungen wurde. Auch sie ist deshalb sicher: „Ohne eine Technikaffinität geht es heute nicht mehr.“ Nach ihrem Eindruck bringt der Nachwuchs diese zwar in der Regel häufiger mit, dafür hapere es manchmal an journalistischem Basiswissen: „So manche ethischen und rechtlichen Grundsätze haben einige nicht gelernt.“

Die eigene Leistung zeigen

Auch für sich selbst hat sie Lernbedarf entdeckt: Anders als früher gebe es weniger „Automatismen“ bei der Auftragsvergabe. Entsprechend sei es wichtiger, die eigene Leistung und das eigene Angebot zu zeigen. „Journalisten liegt Selbstvermarktung oft nicht so – aber ohne geht es heute kaum“, sagt Hansen, die hier deshalb auch endlich ihre Hausaufgaben macht. Sich gut zu verkaufen ist Vorausetzung für „das Wichtigste, was Journalisten lernen müssen“: Sie dürfen ihre Arbeit nicht „dadurch entwerten, dass sie Honorare akzeptieren, von denen sie nicht leben können“.

Freie können ihren Marktwert dabei auch durch Weiterbildung erhöhen: Spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten eröffnen ihnen oft neue Arbeitsfelder – vor allem, wenn sie anderen Kollegen mit ihrem Angebot voraus sind. Sich von der Masse abzuheben und klar zu positionieren füllt nicht nur das Auftragsbuch, sondern verleiht einem bei Honorarverhandlungen mehr Gewicht. Das gilt genauso für Feste, denn der Status kann sich schnell ändern. Wer aus sich und seiner Arbeit eine Marke gemacht hat, ist für Arbeit- und Auftraggeber attraktiv.

Angebot zum Weiterkommen

Dass Seminare und regelmäßige Weiterbildung für Journalisten in allen Abschnitten ihres Berufslebens selbstverständlich sein sollten, das haben natürlich auch die Arbeitgeber erkannt. Die ARD.ZDF medienakademie zum Beispiel, die zentrale Weiterbildungseinrichtung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, macht unter dem Motto „Für alle, die weiterkommen wollen“ ein breites Angebot – unter Schlagworten von A wie Abnahme und Außenübertragung über M wie Magazine, Mobile Devices und Moderation bis W wie Work-Life-Balance und Workflow.

Auch die RTL-Journalistenschule hat neben dem Nachwuchs regelmäßig Redakteure der Sendergruppe zu Gast, die  sich in Weiterbildungen auf neue journalistische Arbeitsweisen vorbereiten, etwa den Einsatz des Smartphones in Konkurrenz zur TV-Kamera.

„Videojournalismus für Zeitungsmacher“ und „Kommunikationstraining für Newsdesk-Redakteure“ heißen Kurse beim Bildungswerk der Zeitungsverleger (ABZV – Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage), das auch  in Technologien wie Datenjournalismus oder Audio-Slideshows einführt.
Björn Schmidt, Geschäftsführer der Digital-Einheit DuMont Net, sieht Weiterbildung als Pflicht für jedes Verlagshaus und die tätigen Kollegen: „Das Digitalgeschäft hat sich so vielschichtig entwickelt. Da reicht es zum Beispiel nicht, wenn sich nur eine Handvoll Journalisten mit Suchmaschinenoptimierung und Social Media beschäftigt. Allen muss zumindest bewusst sein, welche Möglichkeiten der Ansprache wir heute haben.“ Im eigenen Haus werde daran gearbeitet, geeignete Weiterbildungsangebote für das Digitalgeschäft zu entwickeln, erklärt Schmidt.

Aber auch wenn die theoretische Einsicht der Arbeitgeber da ist: Nicht alle Medienhäuser gehen ambitioniert mit dem Thema Weiterbildung um. Im schlimmsten Fall wird es vom Unternehmen nur in Schmalspur angeboten oder ganz ignoriert. Dann müssen Journalistinnen und Journalisten sich selbst um das kümmern, was sie für ihren Beruf brauchen. Dafür steht jedem Arbeitnehmer Bildungsurlaub zu. In NRW sind das fünf Arbeitstage im Jahr. Der Arbeitgeber ist jedoch gesetzlich nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen.||

Timo Stoppacher

Newsletter

Cookie Einstellungen