Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Nach einigen Jahren als Freier wird es Zeit für eine Bilanz – und manchmal für einen Schlussstrich

Runter vom brüchigen Eis

Die ersten drei Jahre sind die härtesten. Das zeigt die jährliche Studie der Förderbank KfW, die das Gründungsgeschehen in Deutschland analysiert. Dabei stellen die Banker in ihrem Gründungsmonitor fest: Nach diesen drei harten Jahren hat man sich als Selbstständiger etabliert. Oder man hat es nicht geschafft: Rund
30 Prozent aller Gründer sind nach drei Jahren „aus dem Markt ausgeschieden“.

Was muss man als freier Journalist machen, um nicht unterzugehen? Sondern sich stattdessen auf dem Markt zu behaupten?

In den vielen Antworten, die dazu schon gegeben wurden, darf eine Plattitüde nie fehlen: Die Freien, so heißt es, müssen Unternehmer werden. Ständig Neues ausprobieren, sich clever zur Schau stellen und bitteschön alles rein geschäftlich betrachten. Dann klappt es auch mit der Selbstständigkeit.

Das alles ist sicher nicht falsch. Aber irgendwie auch ein bisschen wenig.

Es gibt zahlreiche Bücher, Seminare, Vorträge für angehende Freie. Sie lohnen sich alle. Weil sie die grundsätzlichen Fragen angehen: Wie gewinne ich Kunden? Wie hole ich ein ordentliches Honorar raus? Wie sichere ich mich ab? Wie baue ich mir ein Netzwerk auf? Wie organisiere ich meinen Arbeitsalltag?

Das sind Fragen, die sich alle „frischen“ Selbstständigen stellen. Und davon gibt es in diesen Tagen immer mehr: Mit jeder Zeitung, die eingedampft oder eingestellt wird, landet ein neuer Schwung freier Journalisten auf dem Markt. Mit jeder Abfindung, mit jedem auslaufenden Vertrag stellt sich jemand die Frage: Wie verdiene ich jetzt als Journalist weiter mein Geld?

Kampf ums Überleben

Die Selbstständigkeit als einen Sprung ins kalte Wasser zu bezeichnen wäre da verharmlosend. Gerade für die Ex-Angestellten ist es, als würden sie auf einem eingefrorenen See beim Schlittschuhlaufen einbrechen: Da geht es sofort ums
Überleben. Der KfW-Gründungsmonitor unterscheidet nicht nach Branchen. Aber wahrscheinlich verschwindet auch bei den freien Journalisten ein Drittel in den ersten drei Jahren wieder vom Markt.

Die anderen bleiben. Der Markt wird voller und gibt schon jetzt für viele kaum etwas her. Freie Journalisten verdienen im Durchschnitt 2 180 Euro brutto – weniger als halb so viel wie ihre festangestellten Kollegen. Das zeigt eine aktuelle
DJV-Studie, die im April veröffentlicht wurde. Wer für Zeitungen arbeitet, verdient laut Studie noch einmal deutlich weniger: etwa 1 400 Euro. Mit so wenig Geld kann man kaum sich selbst am Leben erhalten, geschweige denn eine Familie. Die Zahl zeigt auch nicht das durchschnittliche Monatseinkommen eines Berufseinsteigers,
der kaum Kunden hat. Es ist der Durchschnitt von weit mehr als tausend freien
Journalisten, die an der Umfrage teilgenommen haben. Viele von ihnen führen ein unsicheres Leben. Ein Ausrutscher – Krankheit, Unfall oder einfach ein Hänger – und man fliegt aus der Kurve. Wie kommt man runter vom Glatteis?

Entscheidungen treffen

Ein Vorschlag. Nach den ersten drei Jahren hat jeder Freie unzählige Aufträge hinter sich gebracht. Geschichten unterbringen, Kalkulation, Steuer – das hat man alles irgendwie gelernt. Spätestens jetzt wird es Zeit für ein paar elementare Entscheidungen. Es geht um eine Frage, auf die es keine standardisierte Ratgeber-Antwort gibt: Was will ich – und was will ich nicht?

Mit dem „Nicht-Wollen“ kommt man beim Entscheiden oft schneller voran. Ein Beispiel: Ich will keine Existenzängste mehr haben. Wenn ich für eine kleine Tageszeitung arbeite und dafür einen Hungerlohn bekomme, habe ich Existenzängste. Also muss ich diesen Job ersetzen – gegen was auch immer. Ja, man hängt an den Kollegen, der Stadt, den Geschichten und Lesern. Man denkt, man würde gebraucht. Aber am Ende geht man kaputt. Weil es einem vor allem
Zeit verstopft und Energie raubt.

Ein zweites Beispiel: Man hat einen Kunden, der zwar halbwegs ordentlich zahlt, aber über den man sich ständig aufregt. Die „Ärgerkosten“ lassen sich recht einfach berechnen: Man arbeitet zum Beispiel vier Stunden für seinen Kunden – und kotzt sich danach noch einmal vier Stunden bei Familie und Freunden darüber aus. Faktisch hat man sich acht Stunden mit dem Kunden beschäftigt. Unterm Strich versauen einem die Ärgerkosten den Stundensatz. Es wird Zeit für einen Schlussstrich.

Solche Entscheidungen zu treffen erfordert Mut. Man gibt etwas vermeintlich Sicheres auf und weiß noch nicht, was kommt. Aber es gibt einem ein besseres Gefühl, wenn man selbst Dinge beendet, als wenn man wartet, bis das Gegenüber
die leidige Zusammenarbeit begräbt.

Wer unzählige Aufträge abgearbeitet hat, kann sich umgekehrt auch eine positive Frage stellen: Was hat mir in den letzten drei Jahren eigentlich am meisten Freude bereitet? In welchem Bereich war und bin ich wirklich gut? Manches davon ist sicher zufällig auf dem eigenen Schreibtisch gelandet. Aber wenn man weiß, wohin mal will, kann man aktiv mit der Suche beginnen. Nach Themen, Kunden, eigenen Projekten.

Diese Suche bedeutet viel Recherche und Nachdenken. Wer sagt was in welchem Medium? Wie werden Themen aufbereitet – und warum nicht einmal anders? Vielleicht ist es aber auch kein Thema, in dem man gut ist. Sondern ein Stil, eine Haltung, eine ganz eigene Art, Geschichten zu produzieren. Wer käme dafür als Kunde in Frage?

Auch in eigenen, kundenunabhängigen Projekten steckt viel Kraft. Es gibt viel zu wenige Journalisten, die ein eigenes kompaktes Format entwickeln und diese Arbeit im Netz veröffentlichen. Wer professionell und mit Leidenschaft Journalismus macht, der löst immer Reaktionen aus. Und mit den Reaktionen lässt sich wieder
arbeiten. Wer reagiert wie – und steckt dahinter ein größerer Markt für mich?

Für etwas brennen

Genau das ist gelungenes Unternehmertum: Für etwas brennen, einen persönlichen Auftrag haben, etwas unternehmen. Ohne diese Idee und das dazugehörige Können ist das ganze Selbstmarketing so viel wert wie eine hohle Nuss.

Eine solche Orts- und Zielbestimmung brauchen Freie gerade mehr denn je. Auch ohne prophetische Gaben ist absehbar, dass in den kommenden drei bis fünf Jahren noch einmal massiv Stellen wegfallen und weitere freie Journalisten auf den Markt kommen. Die Hoffnung, dass die wegfallenden Jobs von neuen Stellen im Onlinejournalismus aufgefangen werden, kann man sich sparen: Wenn eine Regionalzeitung den Bach runtergeht, verlieren Hunderte Journalisten ihren Job bzw. ihre Aufträge. Wenn ein überregionales Blatt oder ein großes Magazin sein Onlineportal aufrüstet, werden eine Hand voll Stellen ausgeschrieben.

Dazu kommt der Nachwuchs, der Journalistenschulen, Unis und Fachhochschulen verlässt. Auch Volontäre werden weiter ausgebildet und anschließend meist vor die Tür gesetzt. Sie sind jung, haben keine Familie und arbeiten für noch weniger Geld. Noch eine Stufe drunter: Online-Medien wie die Huffington Post Deutschland. Ihre Heerschar von Kostenlosschreibern ist erst der Anfang der kommenden Entwicklungen im Berufsfeld Journalismus. Man kann das verurteilen. Aber es ändert
nichts daran, dass man als Freier damit umgehen muss.

Die eigene Passion, die eigene Idee, für die man schreibt, dreht, sendet: So findet man den Weg runter vom brüchigen Eis.

Die beste Wahl sein

Weil es so viele freie Journalistinnen und Journalisten gibt, haben die Kunden die Auswahl. Sie beauftragen einen bestimmten Journalisten – nicht, weil sie es müssen. Sondern, weil sie es wollen. Weil sie glauben, dass sie damit eine richtig gute Wahl getroffen haben. Wer sich dauerhaft auf dem Markt behaupten und mehr als 1 400 Euro im Monat verdienen will, muss genau dahin kommen: für die potenziellen Auftraggeber eine richtig gute Wahl sein.

Und wenn man mit der eigenen Idee nicht sofort genug Geld verdient? Dann weiter Brotjobs machen. Und dem Projekt drei neue Jahre Entwicklungszeit geben.

Benjamin O‘Daniel

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