Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Die Balance zwischen Arbeit und dem Rest des Lebens finden

Alles im Lot?

Ist die Idee von der „Work-Life-Balance“ wieder nur so eine Mode? Oder steckt darin eine Notwendigkeit, um gesund zu bleiben? Man stelle sich eine Balkenwaage vor. In der linken Waagschale liegt in diesem Fall die journalistische Arbeit, in der rechten das Leben. Aber, ­Moment mal: Arbeit ist doch auch Leben! Wohl nicht, geht man nach den Wortschöpfern von „Work-Life-Balance“. Nun gut.

Zurück zu den Waagschalen: Links also liegt die Arbeit und rechts alles andere, was unser Leben ausmacht – Freizeit, Familie, Hobbys und ­gesellschaftliches Engagement. Steht der Balken in der Waagerechten, ist alles gut, das Leben mitsamt Arbeit also in Balance. Zieht jedoch die eine Seite nach unten und drückt die andere nach oben, drängt sich die Frage auf: Geht das auf Dauer gut, oder macht das krank?

Nun lässt sich das wahre Gewicht von Arbeit und dem restlichen Leben natürlich nicht messen, schon gar nicht objektiv. Tendenziell aber wiegt die journalistische Arbeit bei vielen mehr als früher. Dahinter stecken unter anderem der aktuelle Stellenabbau, der steigende Arbeitsdruck und die Entwicklungen der gesamten Branche. Welche Wege gehen Journalisten, um ihr Arbeits- und Privatleben dennoch in Balance zu halten? Und was raten ihnen Experten?

Ohne Sport geht es nicht

„Für mich ist Sport die einzige Möglichkeit, um abzuschalten“, sagt eine freiberufliche Bildjournalistin aus dem Rheinland. Sie ist Mitte 40 und will aus Sorge um berufliche Nachteile namentlich nicht genannt werden. Beim Ausdauersport jedenfalls kann sie besonders gut abschalten, ­und zwar nicht nur mental, sondern auch „mit gutem Gewissen ein bis zwei Stunden das Mobilfunktelefon“.

Die Krux an der Sache: „Gewisse Agenturen wollen eine Auftragsbestätigung innerhalb von zwei Stunden haben,“, erzählt die Bildjournalistin. „Also bin ich sonst immer erreichbar.“ Denn zu groß ist der Konkurrenzkampf und zu hoch die pünktlich zu zahlende Vorsteuer. Aus Panik, erzählt die Mittvierzigerin, arbeite sie also ­immer weiter und weiter: Pro Woche sieben Tage rund um die Uhr, zumindest in Bereitschaft. Essen ist dabei Nebensache, findet ent­weder am Computer oder unterwegs statt. Nur probe- und ausnahmsweise nimmt die Bildjournalistin inzwischen mal ein oder zwei Tage frei und schnuppert am Gefühl, „sich selbst wichtig zu sein“. Außerdem lernt sie peu à peu, „auf verpasste Telefonanrufe nicht mehr immer innerhalb von 30 Minuten zu reagieren“. Was der Rheinländerin sonst noch hilft, den täglichen Leistungsdruck wenigstens auszuhalten? „Eine Partnerschaft, die keine Ansprüche auf Freizeit – außer auf Urlaub – stellt“, antwortet sie.

Ganz anders sieht die Situation für Marc A. ­Endres in Münster aus. Er setzt auf regelmäßige Freizeit, auch zugunsten seiner Arbeit: „Beim täglichen Spaziergang mit dem Hund im Wald kommen mir die besten Ideen“, erzählt der Journalist und PR-Berater. Mit seiner Münsteraner Agentur msm-kommunikation ist er vornehmlich im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterwegs.

Früher saß der 52-Jährige in einem schicken Büro an der Kreativ-Meile im Hafen der Westfalen­metropole. Heute arbeitet und lebt er auch in Münster, aber auf seinem eigenen, kleinen Bauernhof. „Der Blick aufs Wasser im Hafen war zwar recht schön“, sagt Endres im Rückblick, aber ihn störte, dass die Arbeit einen so großen Zeitblock am Stück einnahm. Am neuen ­Lebens- und zugleich Arbeitsort ­genießt der selbstständige Journalist, „dass sich Freizeit und ­Arbeit in ­einem gesunden Rhythmus abwechseln“.

Endres arbeitet so effektiver und glücklicher als früher. Sein Alltag verläuft in kleinen Einheiten: Nach zwei Stunden am Schreibtisch geht er mit dem Hund hinaus in die Natur, versorgt auf dem Hof die anderen Tiere oder erledigt kleine Reparaturen. Danach kehrt der Westfale wieder an den Computer zurück, und zwar mit freiem Kopf und neuen Ideen. „Ich genieße sehr diesen Rhythmus, frei entscheiden zu können“, erzählt Endres. Angenehmer ­Nebeneffekt: Der 52-Jährige hat keine Rückenschmerzen mehr. Stundenlanges Sitzen am Schreibtisch ist für ihn ­Geschichte.

Nicht alles gleichzeitig

Constanze Elter, freie Journalistin, Dozentin und Buchautorin, ­bestätigt: „Statt alles gleichzeitig zu machen, ist es sinnvoller, seine Zeit klar in Arbeits- und Privatphasen zu trennen. Völlig gleich, wie man diese Phasen festlegt und plant. Wichtig ist, dass man dann hundertprozentig bei der jeweiligen Sache ist.“
In ihrem Buch „Selbstständig und dann?“ ­beschreibt Elter, wie freie Journalisten dauerhaft auf die Erfolgsspur kommen. In ihren Seminaren beobachtet die Kölnerin: „Viele Freiberufler stellen extrem hohe Ansprüche an sich selbst. Aber niemand ist perfekt.“ Elter rät deshalb auch zu mehr Gelassenheit.

Genau diese erstrebenswerte Gelassenheit hat Steffen Heinze aus Bornheim bei Bonn über die Berufsjahre hinweg gewonnen. „Ich sehe viele Dinge nicht mehr so aufgeregt wie früher“, ­erzählt der 54-Jährige, der bei der ­Deutschen Welle in Bonn als Redakteur in der Unternehmenskommunikation arbeitet.

Um Arbeit und Privates in Balance zu halten, weiß Heinze, „muss ich beides klar voneinander trennen, ­außerdem gut strukturiert und organisiert sein“.

Der Arbeitsweg als Übergang

Ihm hilft dabei die 45-minütige Fahrtzeit zwischen Büro und Wohnung: „Geruhsam fahre ich mit der Straßenbahn nach Hause. Dabei schalte ich allmählich vom Arbeitsleben ab und stelle mich auf das Privatleben um – und morgens ­genau umgekehrt.“ Durch ein Coaching hat er die klare Trennung fast perfektioniert. „Seither nehme ich das Berufliche nicht mehr mit ins Privatleben und meine privaten Probleme nicht mehr mit ins Büro“, erzählt er.

Vorbei sind auch die Zeiten, da Heinze einmal monatlich mit viel Arbeit im Gepäck in den Zug nach Hamburg stieg, um seine Tochter zu besuchen. „Sie war mir zeitweise wichtiger als die Arbeit“, erzählt Heinze. Nun ist sein Kind groß. Hätte er aber damals „im Aktuellen gearbeitet und immer unter dem Druck gestanden, etwas produzieren zu müssen“, wäre die Situation möglicherweise außer Kontrolle geraten.

Der Redakteur hat – auch aus beruflichem Interesse – mehrmals den Job gewechselt. Dass er zwischenzeitlich auch selbstständig war, hat ihn dankbar für seine heutige Situation gemacht: „Die Festanstellung ist ein Privileg. Ich muss mir zu Hause keine Gedanken darüber machen, wie ich morgen die Kohle verdiene.“ Diese Tatsache trage sehr dazu bei, „die Balance zu finden, die mir immer wichtiger wird“.

Ausgleich zum Beruf findet Heinze bei Gesprächen mit seiner Partnerin, bei Kontakten mit seiner Tochter, bei Treffen mit Freunden und bei Hobbys. Unter der Woche schwingt er sich abends oft auf sein Fahrrad und tourt durch das Vorgebirge: „Dann kann ich meinen Gedanken ein bisschen freien Lauf lassen und abschalten.“ Nach dem Radeln fühlt sich Heinze so entspannt, dass er in Ruhe gern noch ein Buch liest. Work-Life-Balance bedeutet für den Redakteur: hohe Lebensqualität.

Ein Hang zur Selbstausnutzung

Ob Journalisten für eine Work-Life-Balance ­höhere Hürden nehmen müssen als andere ­Berufsgruppen, hängt vom Einzelfall ab. Für Dr. Mechthild Mäsker, Vorsitzende des DJV-Fachausschusses Chancengleichheit, steht tendenziell aber fest: „Journalisten haben einen speziellen Zugang, sich selbst auszunutzen.“ Die Leiterin des NDR-Studios Lübeck erklärt: „Journalisten hängen am Puls der Zeit, sind unentbehrlich und stehen rund um die Uhr zur Verfügung. ­Sobald etwas passiert, sind wir da, zumal unsere persönliche Bedeutung daran hängt. Privates wird dem Arbeitsleben untergeordnet. Wir nehmen wenig Rücksicht auf Familie und Freizeit.“ Die digitale Welt, die immer und fast überall die Erreichbarkeit gewährt, und der zunehmende Stellenabbau in den Redaktionen drehen das Hamsterrad immer schneller. „Mittlerweile riskieren freie wie auch fest angestellte Journalisten ihre Gesundheit“, glaubt Dr. Mäsker. Dass dies vor allem für die Freien gilt, liegt auf der Hand: „Weil sie natürlich existentiell unter großem Druck ­stehen, genug Geld einzunehmen. Und das hängt sehr davon ab, wie gut sie verhandeln und welche Nischen sie besetzen können.“

Und warum drohen Festangestellten kollektive Gesundheitseinbußen? „Weil ihr Arbeitsdruck immer weiter zunimmt und auch sie inzwischen weitaus mehr als siebeneinhalb oder acht Stunden am Tag arbeiten müssen“, antwortet die Fachausschuss-Vorsitzende. Mehr Arbeit auf weniger Schultern, lauten die Ansagen auf den Redaktionsfluren, ganz gleich ob bei Zeitungen, Zeitschriften, bei privaten oder öffentlich-recht­lichen Sendern.

Präventionstipps

Vorbeugung ist die beste Medizin. Die Fach­ärztin Christine Auhagen gibt dazu folgende Tipps:

 

  • Arbeitsbelastung individuell dosieren: „Nicht jeder kann zwölf Stunden täglich arbeiten.
  • Die individuelle Situation auch mit Freunden und ggf. professioneller Unterstützung analysieren und bei Bedarf umorganisieren.
  • Gelassenheit üben und sich nicht unnötig unter Druck setzen (lassen).
  • „Inseln schaffen“ durch Entspannung und individuellen Ausgleich, beispielsweise mit Autogenem Training, Meditation, Sport: „Manche Menschen brauchen Ruhe, andere brauchen Aktivität.“
  • Mindestens einen absolut arbeitsfreien Tag in der Woche einlegen.
  • Zäsuren schaffen durch bewusste Ernährung: „Unter Druck neigt man dazu, zu viel, zu wenig oder zu schnell zu essen, außerdem Nikotin und Alkohol zu konsumieren.“ Stattdessen bewusst kochen und zwischen Terminen ritualisiert zum Beispiel eine Tasse Tee zelebrieren.

Handlungsbedarf

Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sieht der Fachausschuss Chancengleichheit des DJV noch reichlich Handlungsbedarf, so die Vorsitzende Dr. Mechthild Mäsker. Dazu gehören:

 

  • Angebot weiterer Seminare und Workshops zum Thema Zeitmanagement, „sodass auch Freien noch Zeit für Familie, Privatleben und Hobbys bleibt“.
  • Umorganisation von Redaktionen, „sodass sehr gut ausgebildete junge Frauen, auch nachdem sie Mutter geworden sind, karrierefördernd zum Einsatz kommen“.
  • Flexible Arbeitszeitmodelle: Arbeiten auch von zuhause am Abend, wenn die Kinder schlafen. Außerdem mehr Teilzeitarbeit auch in Redaktionsleitungen und die Chance auf längere Auszeiten ermöglichen. „Das ist nur eine Frage der Organisation, zumal es im digitalen Zeitalter viele Möglichkeiten des Zeitausgleiches gibt."

Auch am Wochenende und an Feiertagen ruht kaum mehr ein Team. Das wiederum tut Müttern, die neben der Familie auch ihren Beruf pflegen wollen, auf bestimmte Weise sogar gut. „Viele junge Mütter sind am Wochenende und an Feiertagen im Einsatz“, beobachtet Dr. Mäs­ker. „Sie überlassen die Kinder­betreuung dann ihren Männern. Wohingegen junge Väter immer noch eher unter der Woche arbeiten, also lange Tage und wenig Zeit haben.“

Thema Familie

Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat großes Gewicht in der Work-Life-Balance. Wenn ein Kind kommt, wird das bisher funktionierende System von Arbeits- und Freizeitphasen labiler. Das gilt besonders in den ersten Jahren, in denen die Kleinen nicht selten krank werden. Was dann? Infekte nehmen keine Rücksicht auf Früh-, Spät- oder Nachtschichten. Auch nicht auf drohende Überstunden, wenn irgendwo wieder die Erde bebt oder ein Diktator mit dem Feuer spielt. In solchen Situationen helfen auch die Kooperationen von Rundfunkanstalten mit Kindertagesstätten nicht mehr. Deren ­Öffnungszeiten richten sich nach den regu­lären ­Arbeitszeiten von ­Erziehern, nicht nach aktuel­len Ereignissen. „Kinderbetreuung ist ­unter Journalisten ein großes Thema“, betont
Dr. Mäsker. „Sie müssen viel abdecken durch ­Familie und private Versorgung.“

Die DJV-Hüterin der Chancengleichheit sieht noch großen Handlungsbedarf – bei der Weiterbildung, aber auch der Arbeitsorganisation in den Medienhäusern (siehe Kasten Seite xx). Grundsätzlich blieben viele Chancen zur Entlastung ungenutzt, kritisiert Dr. Mäsker. „Einerseits, weil es für die Arbeitgeber am bequemsten ist, die Leute rund um die Uhr zu ihren Zeiten verfügbar zu haben. Andererseits, weil sich viele Journalisten für unentbehrlich halten und entsprechend zur Verfügung stehen.“

Elternzeit: endlich ohne Termindruck

Jana Gerich aus Köln kennt das Gefühl, sich ­immer und überall bereit zu halten. Seit Winter genießt sie aber Elternzeit und damit „die wunderbare Möglichkeit, mich zwölf Monate voll und ganz um meine kleine Tochter zu kümmern – ohne Stress im Nacken, ohne Termindruck und ohne schlechtes Gewissen, dass Arbeit ­liegen bleibt“. Finanziell entlohnt wird sie nicht mehr durch den WDR, sondern durch den Staat mit dem Erziehungsgeld. „Eine tolle Sache!“, schwärmt die glückliche Mutter der fünf Monate alten Emma Frieda. Zuletzt hatte Gerich einen befristeten Vertrag als Redakteurin beim WDR-Fernsehen, der während des Mutterschutzes auslief.

Die 35-Jährige blieb gelassen. Sie erzählt: „Die spannenden Erlebnisse bei der Arbeit werden zurzeit voll und ganz durch das erste ­Lächeln und die Liebe zu und von meinem Kind ersetzt.“ Noch über sieben Monate lässt sie ihren Beruf ruhen. Danach will Gerich als freie TV-Producerin auch an die Tür ihrer bisherigen ­Redaktion klopfen. Für ihre berufliche Rückkehr hat sie sich vorgenommen, „nicht gleich voll zu arbeiten. Ich möchte meine Tochter aufwachsen ­sehen und mit ihr die Welt entdecken“.

Neben Familie und Beruf zählen für sie zu ­einem ausgewogenen Leben: Freizeit und Ehrenamt. Gerich geht gern ins Kino, singt im Chor und engagiert sich unentgeltlich in einem kleinen Krankenhaus-Radiosender. „Das Optimum ist, dass meine Familie und ich glücklich sind“, sagt sie. Die künftige Freelancerin strebt an, neben ihrem Mann „genug zu verdienen, so dass nach Abzug der Kinderbetreuung noch Geld für ein gutes Leben übrig bleibt“. Für die Zukunft wünscht sie sich „mehr feste Jobs in Teilzeit“ auch für Mütter. „Denn durch befristete Ver­träge ist es generell sehr schwierig, Kinder zu ­bekommen und gleichzeitig Karriere zu ­machen.“

Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und (Journalisten-)Beruf hat sich auch der DJV auf seine Fahnen geschrieben – und dies nicht allein im Fachausschuss Chancengleichheit, wie Dr. Anja Zimmer, Geschäftsführerin des DJV-NRW, erklärt: „Für junge Journalistinnen und Journalisten ist es heute schwer, überhaupt den Mut für eine Familiengründung zu fassen. Viele der Freien müssen sich mit unter­irdischen Hono­raren über Wasser halten. Und auch wer das Glück hat, eine Anstellung zu finden, wird sehr häufig mit ­befristeten Verträgen abgespeist.“ Gerade ein öffentlich-rechtlicher Sender wie der WDR könnte das aus ihrer Sicht anders handhaben.

Bis sich in der journalistischen Arbeitswelt familienfreundliche Verhältnisse abzeichnen, dürfte Jana Gerichs Tochter ein ganzes Stück größer sein. Deswegen hofft die Fernsehfrau zwar weiter auf ­unbefristete Verträge und flexiblere Arbeits­zeiten. Konkret setzt sie aber vor allem auf die ­Unterstützung ihres Mannes, auf die ­Gesundheit ihrer Tochter und auf den ­Enthusiasmus der Großeltern. Mit einer guten Portion Organisa­tionstalent ausgestattet, hofft die junge Mutter, „nicht mehr zu arbeiten als ­eigentlich gut für die Familie wäre“. Sie liebt ­ihren Beruf, findet ihn erfüllend und vielfältig.

Familienarbeit für beide Eltern

Bei ihrer Berufsrückkehr als Freiberuflerin kann sie möglicherweise von den Erfahrungen ihres Schwagers profitieren. Denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ja kein ­exklusives Frauenproblem (mehr). Auch Stefan ­Gerich, als freiberuflicher Journalist für den WDR ­sowie für das Deutschlandradio tätig, sieht in der Familien­arbeit einen wichtigen Teil seines ­Lebens. Stolz erzählt er: „Ich habe es geschafft, meine ­Arbeit komplett so zu legen, dass ich fast nur noch nach Dienst­plänen arbeite. Vorher ­waren die Einsätze unregelmäßig: Der Anruf kam, und ich musste los. Das ist mit Kindern, wenn beide Elternteile ­arbeiten, aber kaum machbar.“

Durch Überzeugungskraft und Fleiß hat der zweifache Vater an Planungssicherheit gewonnen und kann sich im Dienst nun voll auf seine Einsätze als Reporter, Moderator und Redakteur konzentrieren. „Allerdings gehören zu meinem Job auch Wochenenddienste“, betont der freie Journalist. „Dann wird es ohne Kita wirklich schwierig, zumal auch meine Frau am Wochenende arbeiten muss.“

Höhere Honorare würden die Situation entspannen, träumt der 37-Jährige, „so dass man weniger Dienste machen müsste, um auf seinen Durchschnitt zu kommen“. Auch hätte er dann wieder Zeit für Hobbys und Ehren­amt. So aber gönnt sich der Journalist ­außerhalb von Arbeit und Familie nur alle paar Wochen ein Treffen mit Freunden: „Die Zeit, die übrig bleibt, möchte ich mit meiner Familie verbringen, zumal die Kinder noch klein sind. Alles andere wäre ­Luxus.“

Für viele überraschend: Auch ein Mehr an Freizeitaktivitäten wäre möglicherweise gesund­heits­gefährdend. Denn wer sich überfordert und auch im Privaten stets an die Grenzen geht, riskiert seine Balance. Ist das Gleichgewicht erst einmal gekippt, haben Krankheiten ein leichtes Spiel.

Christine ­Auhagen kennt sich mit der ­Gesundheit von Journalisten bestens aus. Die Kölner Fachärztin für Allgemeinmedizin, Naturheilkunde, Akupunktur und Psychotherapie sitzt mit eigener Praxis in der Nachbarschaft des WDR. Aus ihrer Sprechstunde weiß sie: „Auch unter den fest ­angestellten Journalisten wächst der Druck. Krankheitszeiten durch Burnout und Erschöpfung nehmen zu, doch können sich feste Mit­arbeiter wenigstens über Auszeiten oder Krankschreibung regenerieren.“

Ganz schnell Existenzsorgen

Mit den Freiberuflern unter ihren Patienten muss sie dagegen länger diskutieren. Drohe ­ihnen Ausfall, so schildert es Auhagen, dann fürchteten sie sofort um ihre Existenz. Auch sonst beobachtet sie, dass die freien Journalisten unter „unheimlichem Druck“ stehen, „einerseits durch die Terminierungen, andererseits – wenn nichts zu tun ist – durch das Gefühl, ohne Aufträge nicht zu überleben“.
So stellt die Fachärztin regelmäßig fest: „Auch ohne Aufträge nehmen sich die freiberuflichen Journalisten nicht die Zeit, vom vorherigen Druck zu regenerieren.“ Folglich drohen ihnen „Schlafstörungen, Herzrasen und Magen- beziehungsweise Darmbeschwerden“. Auhagen rät ihren Patienten mit Erschöpfungssyndromen, mindestens zwei Wochen die Arbeit ruhen zu lassen, in schweren Fällen sogar mehrere Monate. Bei Burnout empfiehlt sie stationäre Rehabilitation.

Vor allem aber sollte man vorbeugen, damit es gar nicht erst so weit kommen kann, dass aus „normaler“ Überlastung, die jeder mal erlebt, eine krankmachende Dauerbelastung wird (siehe Kasten Seite xx). „Man muss sich frühzeitig um Vorbeugung kümmern“, betont Auhagen, „sonst ist der Zeitpunkt verpasst, dass man dazu noch die Kraft hat.“ Grundsätzlich gilt für die Fachärztin: „Wer fröhlich und glücklich arbeitet, ist weniger anfällig als derjenige, der unter Druck steht.“
Um effektiven Ausgleich in der Freizeit hat Barbara Buchholz sich frühzeitig bemüht. Vor elf Jahren begann die freiberufliche Print- und ­Online-Journalistin aus Bonn mit Karate. Buchholz trainiert zweimal wöchentlich. „Die Trainingstermine sind mir heilig“, sagt die 39-Jährige. Nur ein außerordentlicher Auftrag, Krankheit oder Urlaub können sie an der kraftschöpfenden Auszeit hindern.

Ritualisiert beginnt das Training mit einer Meditation. „Mit diesem Moment legt man ab, was am Tag war“, erzählt die Bonnerin. „Anders käme man im Training sowieso nicht klar.“ Für Buchholz ist Karate körperliche Herausforderung, aber auch Kopfsache: „Man muss sich ­bestimmte Bewegungsabläufe und komplizierte Griffe einprägen und sie in Partnerübungen opti­mal miteinander koordinieren.“

Balance spielt in diesem Sport im ganz wörtlichen Sinne eine große Rolle, dazu Körper­beherrschung und Durchsetzungswille: „Wenn man einen Partner werfen soll, der viel kräftiger und größer ist, glaubt man zuerst, es nicht zu schaffen“, erklärt Buchholz. „Zweifelnd und zaghaft klappt es wirklich nicht, doch mit starkem Willen setzt man einfach den richtigen Hebel an, dann ist die Kraft letztlich gar nicht mehr wichtig.“ Buchholz, die den schwarzen Gürtel trägt, resümiert: „Karate ist eine ständige Herausforderung. Ich kann vieles daraus auf andere ­Lebens- und Arbeitsbereiche übersetzen.“

Bewusst die Reißleine ziehen

Ihre Schwerpunkte im journalistischen Bereich liegen auf Reise und Comic. Außerdem arbeitet die 39-Jährige als Lehrbeauftragte an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sie weiß: „Ich neige dazu, mir zu viel vorzunehmen und dadurch mit mir nicht mehr im Reinen zu sein.“ Um in der Folge nicht flach zu liegen – zum Beispiel mit ­einem Infekt –, zieht Buchholz immer bewusster an der Reißleine: Sie lehnt ­inzwischen auch Aufträge mal ab und überwindet sich selbst bei vollem Schreibtisch und ­Müdigkeit regelmäßig zum Karatetraining.

Neben dem Sport erlebt Buchholz als wohltuende Basis ihre Partnerschaft, Freunde und soziale Netzwerke: „Nur so kann ich es aushalten, nicht zu wissen, was beruflich in ein, zwei oder drei Jahren kommen wird“, sagt die freiberufliche Journalistin.

Angelika Staub

Buchtipps

Das Gleichgewicht finden, damit die Arbeit nicht alles auffrisst: Zu diesem Thema passen auch zwei Ratgeber des DJV.

Der vom Bundesfachausschuss Gleichstellung erarbeitete DJV-Ratgeber „Zwischen Schnuller und Schlagzeile“ richtet sich an Journalistinnen und Journalisten, die Eltern werden. Welche Fördermöglichkeiten bietet der Staat? Wie lässt sich der Nachwuchs mit der journalistischen Karriere vereinbaren? Wie können Mütter oder Väter auf Teilzeit umsteigen?

Zwischen Schnuller und Schlagzeile
DJV-Verlags- und Service GmbH Bonn
Preis: 5,00 Euro

In „Doppelrolle Beruf und Familie“ geht es nicht nur um Kinder­betreuung, sondern auch um die Pflege von Angehörigen: Wie lässt sich das mit dem Beruf vereinbaren? Welche Ansprüche bestehen? Die Broschüre nennt unter anderem Möglichkeiten finanzieller Unterstützung und Hilfestellungen für akute Notfälle.

Doppelrolle Beruf und Familie
DJV-Verlags- und Service GmbH Bonn
Preis: 8,50 Euro

 

Beide Ratgeber sind über den DJV-Shop zu erhalten (www.djv.de) – als Broschüre oder eBook/Kindle-Version.

Gute Arbeit, schlechte Arbeit

Gerade Journalistinnen und Jour­nalisten verzweifeln mit den Jahren oft an ihrem Job. Denn bei vielen ist ­Idealismus – neben anderen Faktoren – ein wichtiger Impuls für die ­Berufswahl: Journalist wird man, um zu recherchieren, über relevante Themen schreiben und in der Gesellschaft etwas zu bewegen.

 

Soweit das Selbstverständnis. Der Berufsalltag sieht oft ganz anders aus: In vielen ­Redaktionen fehlen Zeit und Mittel, um den ­Dingen auf den Grund zu gehen. Das betrifft oft genug nicht nur aufwändige Recher­chen, sondern selbst einfaches Nachhaken. Statt echtem Enthüllungsjournalismus reagiert in vielen Medienhäusern die Sensations­berichterstat­tung. Und selbst anspruchsvollere Medien setzen vermehrt auf bunte Themen und weniger Komplexes, um das breite Publikum zu erreichen.

 

Was sich im obigen Abschnitt wie die Beschreibung der aktuellen deutschen Medienlandschaft liest, stammt aus den Vereinigten Staaten der neunziger Jahre. Die amerikanischen Psychologieprofessoren Howard Gardner, Mihaly Csikszentmihalyi und William Damon hatten 1995 eine Langzeit­studie über Berufe aufgelegt: Ihr Good Work Project untersucht, wie Arbeit und Glück zusam­men­hängen. Neun Berufsgruppen unter­such­ten die Forscher dafür und verglichen unter anderem Genforscher mit Journalisten. Beide haben eine gute Ausbildung, starten typischerweise mit hehren Zielen und stehen in ihrer ­Arbeit vor vielen Herausforderungen. Die Genforscher zeigten sich außer­ordent­lich zufrieden mit ihrem Berufsalltag. Denn sie konnten im Großen und Ganzen tun, wozu sie angetreten waren – forschen und Menschen helfen.

 

Bei vielen der befragen Journalisten regierte dagegen der Frust, weil sie ihre Ziele und Ideale unter den oben geschilderten Bedingungen eben nicht umsetzen konnten. Das gilt heute in Deutschland sicher mindestens so sehr wie 1995 in den USA.

 

Was sich dagegen tun lässt? Jedenfalls nicht resignieren: Wer nach eigener Einschätzung keinen Einfluss darauf hat, was mit ihm passiert, fühlt sich als Opfer und damit noch schlechter. Also ­irgendwie aktiv werden und im persön­lichen Umfeld ­beharrlich ­Spielräume suchen, in denen Platz für die eigenen Ideale ist. Und seien sie noch so klein. Übrigens kann man auch im DJV an ganz vielen Stellen dabei sein, um mit anderen daran zu arbeiten, dass die ­Arbeitsbedingungen nicht immer weiter abschmieren. Damit man nicht am eigenen Berufsalltag verzweifelt. Good Work statt schlechter Stimmung!/cbl

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