Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Interview mit Kameramann Ludger Bußmann-Wigger

Stärkstes Bild nach vorn!

Der Recklinghäuser Ludger Bußmann-Wigger ist seit über 20 Jahren als Kameramann in der Region und der ganzen Welt unterwegs: von Fußballweltmeisterschaften über königliche Hochzeiten bis hin zur Pommesbuden-Reportage bei Curry-Heini in Waltrop. Das DJV-JOURNAL sprach mit ihm über seine Erfahrungen als freier Kameramann, über Bildlichkeit und das Verhältnis zu den Autoren.

JOURNAL: Herr Bußmann, wieso waren Sie eigentlich nicht in Brasilien bei der WM?

Ludger Bußmann: Ich hatte bereits mehrere Termine hier, die langfristig geplant waren. Unter anderem bin ich Anfang Juli für eine Woche für das ZDF mit einem Kreuzfahrtschiff von Barcelona nach Rom gefahren. Das mache ich mit einem Kollegen, mit dem ich regelmäßig arbeite. Das war mir wichtiger. Als Freiberufler muss man auch seine Auftraggeber im Auge behalten. Und eine Woche quer durchs Mittelmeer ist doch auch schön.

JOURNAL: Worum ging es dabei?

Bußmann: Wir haben jemanden aus dem Servicebereich begleitet, der sich um die Gäste kümmert, stellen das Schiff vor und erklären, wie so ein Kreuzfahrtschiff von der Mannschaft her funktioniert.

JOURNAL: Sie sind thematisch breit aufgestellt: Entspricht das Ihren Themeninteressen, oder machen Sie im Zweifel einfach Auftragsarbeiten? Haben Sie Einfluss auf die Themen, über die Sie berichten?

Bußmann: Auf die Themen habe ich nur begrenzt Einfluss. Als Kameramann kümmere ich mich mehr um die Umsetzung. Ich mache gerne Musik, Sport und Kultur – Sachen, die auch ein bisschen Inhalt haben. Was ich nicht mag, sind Boulevard und Scripted Reality*. Da halte ich mich raus. Aber die anderen Themen arbeite ich ab. Da ist es auch gut, wenn man vielseitig aufgestellt ist, weil man ja auch seine Aufträge haben muss, um leben zu können.

JOURNAL: Die Hochzeit von Charles und Camilla war aber schon Boulevard.

Bußmann: Ja natürlich, aber da war die Weltpresse vertreten. Wir waren da in diesem alten viktorianischen Hotel mit großen Gemälden und alten Teppichen – links neben uns die Spanier, über uns die Kanadier. Im Endeffekt sind mir Charles und Camilla einmal durchs Bild gefahren. Mehr war da nicht. Da ging es mir mehr um das ganze Drumherum. Das war wie bei einer Fußballweltmeisterschaft. Man trifft Leute aus Kamerun, Nigeria, England, Deutschland, den Niederlanden – alle sind da.

JOURNAL: Das Titelthema dieser Ausgabe ist „In Bildern erzählen“. Beim Fernsehen sind Bilder das tägliche Geschäft – und besonders für Sie als Kameramann. Welchen Stellenwert hat Bildlichkeit für Sie?

Bußmann: Einen sehr hohen. Fernsehen ist ja ohne Bilder nicht denkbar. Wenn man die Geschichte nicht passend bebildern kann, wird es für den Zuschauer schwierig und auch langweilig – Stichwort: Text-Bild-Schere. Es gibt ja diesen Spruch: Stärkstes Bild nach vorn. Man braucht am Anfang ein gutes Bild, um das Interesse zu wecken und den Zuschauer in die Geschichte zu ziehen. Sonst wird umgeschaltet. Das gilt im Übrigen auch für die Zeitung. Da braucht man auch möglichst ein Bild, das eigentlich schon alles sagt.

JOURNAL: Normalerweise ist ja wahrscheinlich immer erst das Thema da. Oder gibt es auch den Fall, dass Sie erst die Bilder im Kopf haben und und sich daraus die Geschichte entwickelt?

Bußmann: Erst ist immer das Thema da. Der Redakteur sagt zum Beispiel: „Heute begleiten wir einen Trainer einer Jugendfußballmannschaft.“ Da braucht man Bilder, wie er mit den Spielern spricht, wie er Anweisungen gibt usw. Sonst kann man die Geschichte nicht erzählen. Ein Jugendtrainer ohne Spieler und ohne Training, das ist keine Geschichte. Da ergeben sich ganz schnell schlüssige Bilder im Kopf.

JOURNAL: Das heißt, Sie haben die Bilder schon vor dem Dreh im Kopf? Oder gilt der Titel Ihres Buchs: „Blende offen ... und hoffen“?

Bußmann: Ich habe eine Vorstellung von den Bildern, die ich brauche. Ob ich die dann auch bekomme, stellt sich erst vor Ort heraus. Ich nenne mal ein Beispiel aus der Politik: Da gibt es ein hochbrisantes Thema, man fährt nach Düsseldorf zum Landtag und will beteiligte Politiker dazu befragen. Da ist immer die Frage: Ist der betreffende Politiker bereit, zum Thema was zu sagen? Dem einen liegt es vielleicht auf dem Herzen, der gibt direkt eine ordentliche Stellungnahme ab. Der nächste sagt: Ich kann heute nicht. Da muss man dann gucken, wie man das Thema fertigbekommt.

Lebensstationen

Ludger (Lusches) Bußmann-Wigger, geboren 1960 in Olfen im Münsterland, studierte von 1986 bis 1988 Politikwissenschaft, Anglistik und Soziologie in Münster. Von 1991 bis 1993 volontierte er als Kamera­mann bei teuto Tele in Dortmund. Seit 1997 arbeitet er freiberuflich – vorwiegend für WDR, ZDF und die Deutsche Welle.
Über seine skurrilsten und witzigsten Dreherlebnisse schrieb er 2011 ein Buch mit dem Titel „Blende offen… und hoffen“, das im Verlag Monsenstein und Vannerdat erschienen ist. 2012 produzierte er in Eigenregie die Dokumentation „Fresh Air – Beatniks, Hippies und Burg Herzberg“. Bußmann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern (11 und 15) in Recklinghausen./jjs

Kameraleute im DJV

Wie viel Journalist steckt im Kameramann oder der Kamerafrau? Im Zweifel ganz schön viel. Deshalb können Kameraleute auch Mitglied im DJV werden, wenn sie in der aktuellen bzw. dokumentarischen Berichterstattung tätig sind und „ihre Motive weitgehend selbst auswählen“, wie es in den bundesheinheitlichen Aufnahmerichtlinien heißt.

Auch Cutterinnen und Cutter erfüllen die Voraussetzungen für Mitgliedschaft, „sofern sie die Schnittfolge aktueller bzw. dokumentarischer Beiträge weitgehend bestimmen“./cbl

JOURNAL: Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Autoren? Müssen Sie da schon mal korrigierend eingreifen?

Bußmann: Die meisten Autoren beim WDR, ZDF oder bei der Deutschen Welle kenne ich schon seit Jahren. Da ist die Zusammenarbeit sehr gut. Die haben sich ihr Thema in der Regel vorher gut überlegt, und die wissen auch, was möglich ist und was nicht. Dann spricht man sich kurz vorher ab, tauscht die Ideen aus, und dann setze ich das um.

JOURNAL: Gibt es Themen oder Ereignisse, die für das Fernsehen gänzlich ungeeignet sind, weil sie schlecht zu bebildern sind? Oder lässt sich eigentlich für alles eine Visualisierung finden?

Bußmann: Handwerklich ist vieles machbar, aber das hat nicht immer was mit der Wirklichkeit zu tun. Dieser Scripted-Reality-Kram, der momentan läuft, ist zum Beispiel komplett überflüssig. Und natürlich setzten auch Ethik und Pietät Grenzen. Also wenn Menschen Angehörige verloren haben, dann dreht man da nicht.

JOURNAL: Wie wichtig sind Bilder im weitesten Sinne in anderen Medien? Finden Sie es, etwa bei einem Text, auch wichtig, dass Bilder im Kopf entstehen, oder dürfen Texte auch mal ganz abstrakt sein?

Bußmann: Natürlich darf ein Text auch abstrakt sein. Es kommt immer drauf an, für wen ich schreibe. Ich kann natürlich nicht überall wissenschaftliche Texte veröffentlichen. Mit einem guten, bildhaften Text und guten Bildern erreiche ich sicher immer mehr Menschen.

JOURNAL: Ein Studium der Politikwissenschaft ist ja nicht unbedingt der übliche Grundstein für die Laufbahn als Kameramann. Wie kam es zu diesem Wechsel?

Bußmann: Ich war immer schon politisch interessiert, etwa wenn es um Konflikte und ihre Ursachen geht. Ich habe damals gedacht, ich werde Politikwissenschaftler und löse von meinem Büro aus die Probleme der Welt – völlig naiv. Ich war letztlich aber nicht so viel an der Uni, sondern oft als Kabelhilfe für das ZDF unterwegs und habe da auch schon den Duft des Fernsehens geschnuppert. Zustande gekommen ist das über einen Kollegen eines Kollegen, der schon da arbeitete. Der rief mich an und sagte: „Wir brauchen Kabelhilfen. Wird gut bezahlt.“ Das waren meist größere Produktionen über mehrere Tage. Das war sehr interessant zu sehen, wie Fernsehen funktioniert.

JOURNAL: Seit rund 17 Jahren sind Sie als Freiberufler unterwegs. Der Bruch kam, nachdem Sie mit Ihrer Frau von einer sechsmonatigen Weltreise zurückkamen und Ihr vorheriger Arbeitgeber teuto Tele Sie zunächst nur zu schlechteren Bedingungen wieder einstellen wollte. Brauchte es diesen äußeren Impuls, um den Mut für die Freiberuflichkeit aufzubringen?

Bußmann: Ja, schon. Ich hatte zwar vorher schon darüber nachgedacht, aber ich hatte einen sehr guten Vertrag und verdiente für meine Verhältnisse gut. Unter den alten Bedingungen wäre ich sicher wieder eingestiegen. Im Nachhinein war das aber eine der besten Entscheidungen meiner beruflichen Laufbahn. Die beste war, dass ich diesen Beruf gewählt habe, die zweitbeste war der Schritt in die Freiberuflichkeit.

JOURNAL: Ist es beim Fernsehen schwieriger für Freiberufler geworden?

Bußmann: In den letzten zehn Jahren hat sich für mich nicht viel verändert. Die Sender haben einen bestimmten Personalstamm, und der Rest wird über Freie bestritten. Zwar hat es in den letzten zehn Jahren auch keine Anhebung der Tagessätze gegeben, was auch mal schön wäre, Aber verschlechtert haben sich meine Bedingungen eigentlich nicht.

JOURNAL: Was hat Sie auf Ihren Reisen bisher am meisten beeindruckt?

Bußmann: Ich war mal bei einer Fußball-Übertragung in Malawi in Afrika, ein bitterarmes Land mit einer Lebenserwartung von etwa 35 und einer HIV-Rate von 50 Prozent. Die Leute hatten zum Teil Schuhe aus alten Autoreifen. Da bin ich sehr geerdet zurückgekommen und habe gedacht, wir haben hier wirklich keine Probleme. Aber auch Geschichten, die ich hier erlebt habe, waren wirklich spannend: Wir haben mal einen Staubsaugervertreter begleitet. Da ging es immer darum: Lassen ihn die Leute rein oder nicht? Oder ein Straßenfest in Kuba; da war ich der einzige Weiße. Die Musik war gut, die Leute waren freundlich, farbenfroh, und der Rum floss in Strömen. Ich habe einige Orte gesehen, wo ich sonst nie hingekommen wäre. Der Beruf ist wirklich sehr interessant.

JOURNAL: Sind Sie auch schon gefährliche Situationen geraten?

Bußmann: Sehr bedrohlich war die Love-Parade in Dortmund – ein Jahr vor der Katastrophe in Duisburg. Da war der Bahnhof so voll, das war nur noch eine wabernde Masse. Glücklicherweise konnten die Menschen über die Bahnsteige ausweichen. Der Zugverkehr war ja schon eingestellt. Da konnte keiner ahnen, dass es ein Jahr später zu dieser Tragödie kommen würde. Aber auch damals war es schon gefährlich.

JOURNAL: Ich hätte eher erwartet, dass ein Beispiel aus Afrika kommt oder die Geschichte aus der Türkei aus Ihrem Buch.

Bußmann: Ja, das in der Türkei war auch ein bisschen brenzlig, vor allem für unseren Guide, der Kurde war. Wir mussten auf die Polizeistation, weil wir eine Totale von der Stadt gedreht hatten. Wir hatten zwar eine Drehgenehmigung für touristische Ziele, dennoch habe ich die Einstellung auf dem Weg zur Polizeistation vorsichtshalber gelöscht. Die Situation hat sich dann schnell gelöst, als wir sagten, in welchem Hotel wir wohnen. Da sagte der Polizist nur: „Ach, das hat doch mal meinem Cousin gehört“ und bot uns direkt Tee an. Aber vorher war das schon ein bisschen komisch. Die Polizei hat da eine ganz andere Macht. Abends hatten wir noch ein Gespräch mit dem Bürgermeister. Da saßen wir an einem Bankett beim Essen, und dann kam der Polizeichef, und es war kein Stuhl mehr frei. Da war sofort Elektrizität in der Luft. Einer sprang dann auch gleich auf und bot ihm seinen Stuhl an, den der Polizeichef auch sofort wie selbstverständlich annahm.

JOURNAL: In Kriegs- und Krisengebieten haben Sie nie gedreht?

Bußmann: Nein, ich hatte mal ein Angebot, in Somalia zu drehen. Da waren aber meine Kinder noch klein, und ich hatte auch keine Lust. Das ist nicht mein Ding.

JOURNAL: Sie sind ja zum Teil, auch länger unterwegs. Was war das längste, und wie kommen Sie damit klar, so lange von Ihrer Familie getrennt zu sein?

Bußmann: Das längste war 2004 zur Europameisterschaft in Portugal, als ich vier Wochen für das Magazin Ballkontakte durchs Land gefahren bin und bunte Geschichten rund um die EM gemacht habe. Wir waren zum Beispiel in einem Kloster bei einem bekannten Pater, der sehr gut Fußball spielen konnte. Dann schieden die Deutschen im Viertelfinale aus. Wir hatten aber für vier Wochen ein Haus an in der Algarve. Das heißt, das Haus stand noch eine Woche leer, und ich hatte nur noch einen Termin zum Endspiel in Lissabon. Da habe ich zu meinem Kollegen gesagt: „Mensch Diddi, wir holen unsere Familien nach.“ Das haben wir auch gemacht und noch eine Woche drangehängt – eine meiner schönsten Produktionen. Das ist aber nicht der Normalfall, dass man umsonst in irgendwelchen luxuriösen Häusern wohnen kann. Meistens bin ich ja nur fünf bis sechs Tage unterwegs, und dann bin ich immer froh, wieder nach Hause zu kommen.

JOURNAL: Hat es Sie eigentlich nie mal aus Recklinghausen weggezogen bei all den tollen Orten, die Sie kennengelernt haben?

Bußmann: Nein, ich fühle mich mit meiner Familie hier sehr wohl. Ich sehe ja genug von der Welt und bin eigentlich immer wieder froh, hierher zurückzukommen.

JOURNAL: Auch nicht Köln, Hamburg oder Berlin?

Bußmann: Nein, hier ist man als Kameramann ja noch ein Exot. In Köln kann man ja nicht mal in Ruhe ein Bier trinken, ohne Fernsehschaffende zu treffen. Für mich ist es gut so – das ist hier ein guter Ruhepunkt.

JOURNAL: Was haben Sie noch für Pläne?

Bußmann: Ich habe immer Projekte, die nebenbei laufen. Ob das mein Buch war oder meine Hippiedokumentation. Momentan arbeite ich an einer Integrationsdokumentation über Kultur, Essen und Musik der Einwanderer im Ruhrgebiet. Das mache ich mit dem Maler Rudi Turinski und dem Liedermacher PW Krise zusammen. Die hatten die Idee und haben mich angesprochen. Da haben wir schon in einem türkischen, einem griechischen und einem portugiesischen Restaurant gedreht. Als nächstes kommen ein polnischer Lebensmittelmarkt und ein ehemaliger Bergarbeiterkiosk in Oer-Erkenschwick. Das Ganze wollen wir dann im Rahmen eines kulinarischen, literarischen Filmfestes im nächsten Jahr präsentieren.

Danach würde ich gerne eine Musikdokumentation mit dem Titel „Never trust the Yuppiesound“ machen. Da beschäftige ich mich mit Musikrichtungen, die nicht Mainstream sind, Independent-Rock und so. Aber das ist noch nicht spruchreif.

JOURNAL: Mit derartigen Projekten gehen Sie dann aber in Vorleistung.

Bußmann: Klar. Für solche Projekte kriegt man erstmal keinen Auftraggeber. Freunde und Familie helfen da ein bisschen mit. Aber damit kann man kein Geld verdienen.

JOURNAL: Als ich das erste Mal bei Ihnen anrief, meldeten Sie sich mit „Lusches“, und auch in Ihrem Buch taucht der Name immer wieder auf. Was hat es damit auf sich?

Bußmann: Das ist mein Spitzname. Ich heiße ja Ludger. Als ich zur Schule ging, gab es noch die Variante Lutz – einige sagen auch Lutzius. Und irgendwann sagte einer Lusches. Und der Name hat sich durchgesetzt.

JOURNAL: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Jörn-Jakob Surkemper.

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