Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Wie Journalisten in gefährlichen Milieus recherchieren

Bedrohungslagen

Manche Journalisten zahlen einen ­hohen Preis, weil sie ihre Arbeit kompromisslos machen. Sie recherchieren, wo andere sich wegducken. Sie wühlen im Dreck der ­Gesellschaft, den manche Bürger nicht sehen wollen. Der lange Atem für die ­Recherche und das über Jahre fortdauernde ­Berichten kennzeichnen ihre journalistische ­Arbeit. Weil diese Kolleginnen und Kollegen sich mit einflussreichen Feinden anlegen – politischen oder religiösen Extremisten, der Mafia oder anderen Kriminellen – leben und arbeiten sie unter Bedrohungen, die weit über die juristischen Attacken hinaus­gehen, die auch immer mehr um sich greifen. Diese Kolleginnen und Kollegen sind mit Leib und Leben bedroht. Wie gehen sie damit um?

„Ich möchte mich aber aus sicherlich verständ­lichen Gründen gerade zu dem Thema Mafia und damit verbundener Recherche nicht ­äußern.“ Der Kollege, der bei einer Zeitung in NRW ­arbeitet, hat vor Jahren mehrmals über Mafia-Strukturen in seiner Region recherchiert und geschrieben. Damals nach den „Mafia-Morden“ in Duisburg. Weil dort 2007 sechs Männer vor einem italienischen Restaurant erschossen worden waren. „Ich möchte Sie bitten“, schreibt der Kollege per SMS, „mich in diesem Zusammenhang nicht zu erwähnen.“ Das klingt nach Angst. Auf die Frage nach dem Warum kommt schon keine Antwort mehr.

Ähnliche Geschichten mag es häufiger geben, ohne dass man es als Leser, Hörer oder Zuschauer mitbekommt. Als Kollege weiß man vielleicht: Da hat sich jemand mal mit einem Thema ­befasst, bei dem mit mehr als dem „üblichen“ Gegendruck zu rechnen ist. Aber warum dann nur ein Beitrag erschien? Oder vielleicht gar keiner ... Die Barrieren bleiben eher im Verborgenen. Auf Nachfragen gibt es maximal ein paar vertrauliche Hinweise. Bloß keine Öffentlichkeit mehr!

Sicher ist: Wer die richtig heißen Eisen anfasst, braucht neben der oben erwähnten Beharrlichkeit sehr starke Nerven. Und mancher muss während der Recherche oder nach der ersten Veröffentlichung feststellen, dass ein Thema zu heiß ist. Dass die eigene Situation es – aus welchen Gründen auch ­immer – nicht erlaubt, hier weiterzumachen. Typisch, würde Petra Reski sagen. So etwas ist Wasser auf ihre Mühlen. „Journalisten überschätzen sich unendlich“, sagt sie im Telefon­gespräch. Es klingt bitter, wenn Reski, die oft als Mafia-Journalistin bezeichnet wird, von der „Hybris“ der journalistischen Beobachter spricht. Sie ­beklagt Kollegen, die „das Maul nur auf leeren Straßen aufreißen“.

Bewunderung als Drohung

In ihren Berichten und Büchern zeigt Petra Reski seit Jahren, wie sich die Mafia in den vergangenen vier Jahrzehnten in Deutschland eingerichtet hat. Sie selbst lebt seit vielen Jahren unter Bedrohung. Wie subtil der Druck auf sie aus­geübt wird, schilderte 2008 ein Beitrag in der ZEIT: Danach wurde ihr vor einer Lesung in Erfurt eine Einstweilige Verfügungen gegen Passagen ihres Buchs zugestellt. In der Lesung selbst sei sie von einem Italiener aus dem Publikum als „Mafiosa“ beschimpft worden. Ein anderer ­erklärte: „Ich bewundere Ihren Mut, ich bewundere wirklich Ihren Mut.“ Dazu erklärt die ZEIT: „Üblicherweise ist das die klassische Mafia­drohung, genau diesen Mut in Zukunft besser nicht mehr zu zeigen.“

Reski empfindet den damaligen Vorfall als „Zeitenwende“: „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in Deutschland geschehen könnte.“

Wenn Petra Reski, die in Venedig lebt und schreibt, in Deutschland auftritt, dann gibt es oft ­besondere Eingangskontrollen. Wie im Mai, als sie in Düsseldorf auf der Journalistenpreis-Verleihung des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbands (RWGV) über die Mafia spricht. Manchmal stehen betont unauffällige Männer in ihrer Nähe, deren Blicke unentwegt übers Pub­likum schweifen. Personenschutz für eine Journalistin, die sich von der italienischen Mafia, wie sie sagt, „nicht einschüchtern lässt“.

Öffentlichkeit, sagt Reski, scheuen alle Mafia-Organisationen. Die Mittfünfzigerin macht aber ihre eigene Berufsgruppe mitverantwortlich für das Fortbestehen der Mafia: „In Deutschland ist die Mafia seit vierzig Jahren zu Hause. Und sie wird seit vierzig Jahren ebenso regelmäßig entdeckt, wie sie wieder vergessen wird. Von uns Journalisten.“ Ihr zentraler Vorwurf: Deutsche Journalisten fallen auf die Mafia rein, stellen sich sogar indirekt dadurch in ihren Dienst. „Denn der Siegeszug der Mafia in der Welt beruht keineswegs allein auf Gewalt, sondern vor allem auf Geld und auf guten Worten – die von Journalisten verbreitet werden.“

Ihr ist es wichtig, als Journalistin Haltung zu ­zeigen, sagt Reski. Und das auf Dauer. Nicht nur für die eine Geschichte. „Es ist schon wichtig, auf welcher Seite ich stehe. Ende. Auf etwas ­anderes lass’ ich mich nicht ein.“ Die Tochter ­eines Bergmanns aus Kamen will sich nicht verbiegen lassen. Jeder, der über die Mafia schreibe, tue das auf eigene Gefahr, habe ihr mal Alberto Spampinato gesagt, der Bruder eines von der Mafia ermordeten sizilianischen Journalisten. „Er meinte das ganz wörtlich“, sagt Reski. „Denn mit ‚auf eigene Gefahr’ meinte er nicht nur ­Gefahr für das Leben. Sondern auch für die mora­lische Integrität. Für das, was man Haltung nennt.“

Das Thema hat selten Konjunktur

„Redaktionen interessieren sich für das Thema Mafia überhaupt nicht.“ An Beispielen fehlt es Reski nicht, um diese Behauptung zu untermauern. „Die Mafia ist in Deutschland ‚Kult’. Es gibt sie als Computerspiel, als Fernsehserie, als Partymusik.“ Und es störe niemanden. Sie erinnert beispielsweise an Editorials im Spiegel, in denen das Magazin sich rühme, dass seine Reporter bei ihren Recherchen von dem kalabrischen Mafiamusik-Produzenten Francesco Sbano ­geführt wurden, einem Mann, der „das Vertrauen mancher Mafiosi genießt“, wie es im Spiegel hieß. Die bitterböse ­Karikatur eines solchen Kollegen liefert Reski übrigens in ihrem gerade erschienen Roman „Palermo Connection“ mit der Haupt­figur des Hamburger Magazin-Reporters Wolfgang W. Wienecke.

Die Mafia und die Organisierte Kriminalität in Deutschland: Seit den Duisburger Morden widmeten die Medien ihnen keinen Aufmacher mehr. Bis zur jüngsten Veröffentlichung des neu gegründeten Projekts Correctiv um David Schraven, das in Zusammenarbeit mit Spiegel Online, Funke Mediengruppe und WDR zu ­einem eindrucksvollen Ergebnis führte (siehe www.mafia-in-deutschland.de). Das Projekt ­basiert auf einem Interview mit ­einem sizilianischen Auftragskiller, der ausgestiegen ist, als ­Exklusivquelle. Und es bestätigt, was Reski seit Jahren als Botschaft über die Alpen trägt: Die Mafia unterwandert die deutsche ­Gesellschaft.

In diesem Projekt fängt die breite Medienmacht von TV, Print und dem deutschen Online-Marktführer ein Stück des Drucks auf den ­einzelnen beteiligten Journalisten ab. Das ist bei ­einem journalistischen Einzelkämpfer wie ­Michael Klarmann anders. Der freie Fotograf und Journalist, der in der rechts­extremen Szene als „Nazijäger-Journalist“ ­abqualifiziert wird, lebt seit Jahren unter einem amtlich eingetragenen Pseudonym. Er hat über die 2001 gegründete „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) ­recherchiert und geschrieben. Die vor zwei Jahren verbotene Neonazi-Truppe wurde als eine der ­aktivsten Gruppierungen in Nordrhein-West­falen eingestuft.

Interna aus der braunen Szene

Klarmann berichtete oft in den Medien in der Region und in überregionalen Medien exklusiv und vorab von Aktionen, Aufmärschen und Treffen der Neonazis in den Kreisen Aachen, Heinsberg und Düren. „Das waren Berichte mit Interna, die weh tun.“ Darauf ist Klarmann stolz. Er kennt die „braune Szene“ nicht nur in Nordrhein-Westfalen, kennt ihre Hintergründe und Erscheinungsformen. Und die reichen von den „Pro Köln“-Stadträten in der Domstadt über die Rechtspopulisten von „Pro NRW“ mit ihren ­Attacken auf Salafisten und Moscheen bis hin zur 2012 gegründeten Partei „Die Rechte“ (Wer mehr zu diesen Themen lesen will: Eine Zusammenschau liefert der WDR in der Mediathek ­unter „Am rechten Rand“).

Was die braune Szene mit der Mafia ­gemein hat: „Diese Leute sind sehr nachtragend“, weiß ­Michael Klarmann. Deshalb gibt er nirgendwo eine Adresse an. Deshalb laufen ­Anrufe auf seinem Handy immer in eine Mailbox. Er meldet sich per Mail, vereinbart ein ­Gespräch, ruft Personen, die er nicht kennt, im Festnetz mit unterdrückter Nummer zurück.

Bei solchen hartnäckigen Recherchen im feindlichen Milieu wird der Journalist selbst zum Ziel, zum Feind. Wie Bedrohung von Journalisten geht, das kann Klarmann haarklein buchsta­bieren und hat darüber auch schon im JOURNAL berichtet (siehe Ausgabe 4/08). Alles selbst ­erlebt: Anfeindungen auf ­Demos, Behinderung der ­Arbeit und offene Angriffe sind fast schon selbstverständlicher Teil der Arbeit als „Pressezecke“, wie Klarmann und andere Journalisten, die die rechte Ecke der Gesellschaft ausleuchten, von dort abgestempelt werden.

Rechte mit „Presseausweis“

Dass es keinen „offiziellen“ Presseausweis mehr gibt, machen Rechtsextreme sich zunehmend zunutze und statten sich mit eigenen Dokumenten aus. Dabei geht es ihnen nicht um Bericht­erstat­tung: Sie wollen sich zum Beispiel über Einsatzpläne der Polizei informieren, im Gericht die Arbeit der Reporter behindern. Oder bei Demos hinter die Absperrungen gelangen: „Ganz nah ran an die Journalisten, den Kollegen auflauern, sie einschüchtern, bedrohen – das ist die neue Strategie der Rechts­außen-Szene“, schrieb Pressesprecher Hendrik Zörner dazu im Dezember 2013 im DJV-Blog.

Nicht nur die Journalistengewerkschaften haben das Thema im Blick. Aufgegriffen wurde es in den vergangenen eineinhalb Jahren zum Beispiel auch von der taz, dem ZEIT-Blog Störungsmelder,  der Deutschen Welle und dem Medienmagazin Zapp.

Aus Sicht des DJV ist es höchste Zeit, dass es wieder einen bundeseinheitlichen Presseausweis gibt, der von den Innen­ministern anerkannt wird, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vor­gesehen hat. Davon würden nicht nur Journalisten profitieren, die ungestört arbeiten können. Auch die Einsatzkräfte könnten wieder leichter zwischen Medienvertretern und Nazis unterscheiden./cbl

Besorgniserregend: Seit geraumer Zeit besorgen Rechtsextreme sich häufiger Presseausweise – auch um hinter Absperrungen Journalisten zu bedrohen und um an Polizei-Informationen zu kommen (siehe "Rechte mit "Presseausweis"). Dabei ist ein glaubwürdiger Presseausweis für Klarmanns ­Arbeit wichtig: „Sonst kommst du bei linken Hausbesetzungen und rechten Aufmärschen durch keine Polizei­sperre.“

„Outings“ von Journalisten mit Klarnamen, Spitzname und Adresse sind die Steigerung beim Einschüchtern. Im Verfassungsschutz-Bericht 2013 ist über „Die Rechte“ nachzulesen: „Journalisten werden von der Partei bedroht und als ‚Hunde’ beschimpft, ihre Arbeit wird als ‚Gossen­journalismus’ diffamiert. Analog zu den ‚Outing­Aktionen’ des neonazistischen Spek­trums gegen­über politischen Gegnern werden Journalisten namentlich genannt und bedroht.“

Nicht nur die Neonazis lieben das Outing als Kampfform. Auch Journalisten, die über Salafisten berichten, sind bei ­ihrer Arbeit solchen ­Bedrohungen ausgesetzt. Christof Voigt, freier WDR-Journalist, beobachtet neben dem Rechtsextremismus in der Sportszene auch seit 2009 die Entwicklung der salafistischen Szene in Deutschland und Österreich.

Opfer einer Hetzkampagne

Wie andere Journalisten vor ihm, wird er zum Opfer einer Hetzkampagne der Salafisten, über die er Anfang des Jahres auf der Seite Vocer berich­tete („Im Fokus der Salafisten“). Im September 2013 hatte Voigt eine Ver­anstaltung in Dortmund besucht, bei der Redner dazu aufriefen, für den salafistischen Islam zu kämpfen.

Sein Team und er werden von etwa 20 Salafisten bedrängt und zur Rede gestellt. Voigt schildert seine vergeblichen Versuche, ins Gespräch zu kommen: „Ben Abda wird schnell beleidigend, schleudert mir entgegen, für einen zionistischen Lügensender zu arbeiten, der Muslime per se schlecht machen wolle und bei dem ja vor allem Rassisten arbeiten“, schreibt Voigt. „Wieder verneine ich, frage ihn, wie er darauf kommt und ernte noch mehr Hass. Vor laufender Kamera beleidigt mich Ben Abda als ‚Schweinehund, Lügner und rassistisches Schwein’, ich solle mich zu ‚meinem WDR verpissen‘. Das alles wollte ich eigentlich nicht ­hören, aber irgendwie bestätigt es mich, hier genau richtig zu sein.“

Diese Szene wird von dem Salafisten gefilmt und zusammen mit Beschimpfungen ins Internet ­gestellt. Auch wenn gegen den Salafisten wegen Beleidigung ermittelt wird, das viel geklickte Hetzvideo aus den Netz verschwindet, steht Voigt am Ende unter Polizeischutz.

Der WDR-Freie zitiert in seinem Vocer-Text die Aufforderung des Medienwissenschaflters Christian Schicha, nicht nur dann zu berichten, wenn es einen Anschlag oder Ausschreitungen bei ­einer Veranstaltung der salafistischen Szene gegeben hat, sondern über „die Hintergründe, die Motive, die Finanzierung und die weiteren Ambitionen zu recherchieren und diese aufzudecken”. Und Voigt fügt deutlich hinzu: „Als Journalisten haben wir die Ambition, aufzuklären und zu ­informieren über die Ziele von Menschen, die anderen ihren Glauben und ihre ­Lebensweise – auch mit gewalttätigen Aktionen – aufzwingen wollen.“

Genauer auf die Hintergründe schauen – wie schnell Journalisten dabei im Lokalen auf schwieriges Terrain geraten können, hat auch die WDR-Journalistin Heike Zafar aus Münster ­erlebt. In einem Vierminüter für die Lokalzeit Münsterland schaffte sie vor gut zwei Jahren den Spagat vom „auf den ersten Blick ganz unauffälligen Stand“ mit roten Rosen und den Koran verteilenden Männern in Münsters City hin zu den salafistischen Extremisten im Hintergrund. Ihr Beitrag zeigte nicht nur, wer die netten Männer mit den ­Rosen sind und welche Ziele sie verfolgen. Deutlich wird darin auch, wie schnell man bei der Recherche in diesem Milieu mit journalistenfeindlichen Reaktionen konfrontiert ist. So enthält der Beitrag eine Bedrohungsszene aus Solingen, die die pure Aggression von Salafisten gegenüber Journalisten festhält. Da heißt es in leicht gebrochenem Deutsch, aber eindeutig und von geballten Fäusten begleitet: „Sie kommen noch mal hier – Kamera kaputt.“

Beharrlichkeit besser honorieren

Trotz mehr oder weniger konkreter Bedrohung kontinuierlich berichten: Dieser Forderung ist Michael Klarmann über Jahre nachgekommen, auch wenn er nicht immer Abnehmer für seine Beiträge und Fotos findet. Er liefert Material, ­erzählt von Fußball-Fans, die zu Rechts­extremisten werden. Oder von Linken oder ­Autonomen, die über die Stränge schlagen. Schießt Fotos bei Aufmärschen der Rechten. Was keiner drucken oder senden wollte, publizierte er bis 2011 in seinem eigenen Blog. Als Quereinsteiger in den Journalismus hat er sich spezialisiert auf diese „Themen, die sonst keiner haben will“. Nur mit der Bezahlung hapert es immer öfter: „Wenn du dich mit Redaktionen um zehn Euro Honorar streiten musst, dann fängst du an, an deiner Arbeit zu zweifeln.“

Warum erträgt der Journalist ein Leben unter anderem Namen? Mit wandernden Handakten bei Sicherheitsbehörden, die ihm seinen unauffälligen Alltag erst möglich machen. Wieso hält er das seit Jahren durch? „Ich habe schon oft im Leben Scheiße erlebt“, sagt er. Michael Klarmann sieht darin eine Art Trotzreaktion. „Damit will ich das für mich Erreichte vielleicht fest­halten.“ Denn seine Arbeit ist bekannt. Und ­geschätzt.

Vor drei Jahren hat ihm der Bezirksverein ­Aachener Presse für seine journalistische Aufklärungsarbeit in Sachen Rechtsextremismus die „Presse-Ente“ verliehen (vgl. JOURNAL 1/12). Er ist auch mit dem Bürgerpreis „Zivilcourage“ der Städteregion ­Aachen ausgezeichnet worden. Anerkennung, die ihn weiter trägt. Einschüchtern lassen will er sich von Rechten nicht: „Ich bin nicht bereit, das hinzunehmen.“ Und er fordert auch Unterstützung für seine journalistische Arbeit ein: „Was ich ­mache, muss ich tun können in einer Demokratie.“

„So lange ich das Geld dazu habe“, schiebt Klarmann nach. So makaber es auch klingt: Als ein Ziel erreicht war, das Verbot der KAL, sei ihm zugleich auch ein Stück seiner ­Lebensgrundlage genommen worden, erzählt Klarmann. Das Thema war in den Medien durch. „Der Markt bricht weg.“ Derzeit arbeitet er auch sporadisch für Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus, gibt in Vorträgen sein Wissen und seine Erfahrungen über die Rechten weiter.

Pfefferspray gegen Fotografen

Bei den Rechten in Dortmund tauchen immer wieder Personen aus verbotenen Kameradschaften auf, die Klarmann schon aus Aachen kennt. Derzeit tobt der Machtkampf mit Rechtsaußen heftig zwischen BVB-Stadion und Rathaus. Zwischen Polizei, rechtsextremen Demonstranten und Gegendemonstranten arbeiten viele Fotografen und Journalisten. Sie werden nicht nur beschimpft, sondern sogar mit Pfefferspray-­Attacken an der Arbeit gehindert, wie jüngst das Revierblog Ruhrbarone ausführlich dokumentierte.

Auch die Dortmunder „Nordstadtblogger“ um Alexander Völkel, einen ehemaligen Lokalchef der inzwischen „zombisierten“ Westfälischen Rundschau, dokumentieren den Kampf von Dortmundern gegen Rechtsextremismus. Völkel ­betreibt die Nachrichtenseite zusammen mit Klaus Hartmann und weiteren Autoren und ­Fotografen ehrenamtlich.

„Lokal­redakteure haben ein Problem, das andere nicht haben“, schrieb Christian Bangel vor zwei Jahren in der ZEIT: „Sie leben mit den ­Objekten ihrer Berichterstattung Tür an Tür. Es ist einfach, Angela Merkel wegen ihrer Europa­politik zu kritisieren. Viel komplizierter ist es, den Bürgermeister einer Kleinstadt anzugreifen, weil er zu wenig gegen den Rechtsextremismus tut.“

ZEIT Online zeigte damals in einer Serie, dass „die moderne deutsche Neonazi-Szene dynamisch, vernetzt, vielfältig und einflussreich“ ist. Die Autoren stellten fest: „In den vergangenen zwanzig Jahren sind Zonen entstanden, in denen sie faktisch das Sagen haben. Und sie dringen zunehmend in soziale Milieus der Mitte ein, zu denen sie früher kaum Zugang hatten.“ Damit nicht genug. Verfassungsschützer pro­gnos­tizieren: „Mit den neuen technischen Mitteln verändern sich auch Agitations- und Radi­kalisierungsvarianten: Das Internet wird zum ­Katalysator neuer Strukturen im Extremismus, zur Keimzelle neuer Aktionsformen in der ­Realwelt.“

„Das Duell der Rechten mit der ihnen verhassten Presse findet weniger in der Hauptstadt statt“, stellen denn auch Björn Menzel und Jens Kiffmeier in ihrem Buch „Ohne Macht: Zerfall der Gesellschaft – Kampf gegen Rechts“ fest. Sie beleuchten die zerbröselnden Zeitungslandschaften, vor allem im ländlichen Raum. Sie ­beschreiben den Mechanismus, der rechten Gruppierungen – gerade in Ostdeutschland – den Nachrichtenmarkt öffnet. „Entlegene länd­liche Gebiete ziehen die rechten Kameradschaften an“, heißt es da. „Überall dort arbeiten Lokalredakteure an vorderster Front. Ungeschützt und mit offenem Visier.“

Bei Michael Klarmann ging eine Attacke der Rechten über das Ertragbare hinaus. 2010 erhielt er eine konkrete Bombendrohung. Damit sei er „nicht zurechtgekommen“, erzählt er. Unterstützung erhielt er unter anderem durch den Zeitungsverlag Aachen, damals einer seiner wichtigen Kunden. Klarmann musste sich eine neue Wohnung ­suchen. Die Polizei erstellte für ihn ein ­Gefahrenkonzept, an das er sich bis heute hält. Dazu gehört auch, dass er nichts über sein Privatleben sagt und sich nur ungern fotografieren lässt.

Netzwerk aus Familie und Freunden

Auch Petra Reski erzählt nicht viel Privates über das Leben in Venedig, wo sie seit über 20 Jahren lebt. Für ihre Münchener Wohnung gibt es ebenfalls ein mit der Polizei erstelltes Sicherheitskonzept. In Italien, sagt sie, fühlt sie sich aufgefangen durch ein Netzwerk aus Familie und Freunden. „Ich bekomme in Italien wahnsinnig viel Unterstützung.“ Von Polizisten und Staatsanwälten in Italien werde sie ebenfalls großartig unterstützt. „Es gibt da Freundschaften fürs ­Leben.“

Bei ihrem Vortrag für den RWGV in Düsseldorf erzählt Reski, wie Journalisten gestrickt sind, die der organisierten Kriminalität unangenehm werden: Sie „werden dann für die Mafia zur ­Gefahr, wenn sie nicht benutzt werden können. Wenn sie sich erinnern. Wenn sie ­Namen nennen. Wenn sie sich nicht einschläfern lassen, wenn sie nicht schweifwedeln, wenn sie sich den Märchen der Bosse verweigern“. Sie macht das, was sie macht – seit sie Ende der 1980er Jahre beim Stern arbeitete: Sie nennt die Mafia beim Namen.

Was die Deutschen ungern hören

Und bei der Preisverleihung bekommen die Bankdirektoren und Journalisten von ihr zu ­hören, was die deutsche Gesellschaft gerne verdrängt: „In Nordrhein-Westfalen ist die ‘Ndrangheta vor allem in Duisburg, und ­Bochum, Oberhausen und Essen, in niederrheinischen Städten wie Kaarst und Xanten, Kevelaer und Neukirchen-Vluyn, Wesel und Dinslaken präsent. Aber auch in einer Universitätsstadt wie Münster, wo sich der aus Crotone stammende Clan Grande Aracri heimisch fühlt. Die Cosa Nostra hat ihre Hochburg in Köln, aber auch in Leverkusen und Solingen, die Camorra ist genau wie die apulische Sacra Corona unita überall vertreten.“

Wer im Netz die Kombination „Kevelaer“ und „Mafia“ eingibt, bekommt als Treffer einen launigen Bericht der NRZ über die Karnevalssitzung der St.-Aloysius-Bruderschaft von 2009 angezeigt, Titel: „Die Mafia erobert Bergerfurth“. Viel mehr gibt es nicht.

Reski versteht nicht, warum deutsche Lokal­redakteure nicht häufiger nachfassen, etwa nach Gerichtsurteilen: Denn anders als in Italien stellen deutsche Gerichte schon mal fest, dass es die Mafia quasi nicht gibt. Die Gesetzeslage in Deutschland werde von den Mafiosi als eine Art Einladungsschreiben ­betrachtet, sagt Petra Reski kämpferisch. „Dank der Furcht der Deutschen vor dem vermeint­lichen großen Lauschangriff kann praktisch nicht abgehört werden. Dank der Beweislastumkehr müssen die Mafiosi nicht fürchten, nachweisen zu müssen, woher ihr Geld kommt, das sie in Deutschland waschen.“

Die Zeitnot vieler Redakteure und die ungenügende Ausstattung gerade von Lokalredaktionen sieht auch Petra Reski. Sie will aber nicht nur die Medienhäuser in die Pflicht nehmen. Auch die Journalisten selbst seien gefragt.

„Quellen ausschöpfen. Über Jahre“, lautet ihr Praxistipp. „Man kann die Mafia ja nicht googeln.“ Und noch schlimmer: „Man sieht sie ja auch nicht.“ Deshalb sollten Redaktionen und Reporter Kontakte zu Polizei und juristischen Kreisen ausbauen und halten – sich über Jahre tiefer einarbeiten. Erst dann zahle sich das ­angesammelte Wissen aus. „Bei mir hat es auch ziemlich lange, ein paar Jahre gedauert.“

Schwieriges Presserecht

Allerdings sagt sie auch, dass die hiesige juris­tische Praxis zur Verdachts­berichterstattung es Journalisten erschwere, Ross und Reiter zu nennen: Im deutschen Presserecht trägt bei ­einem Verdacht grundsätzlich derjenige die ­Beweislast, der ihn äußert. Faktisch bedeute dies, so hat es Reski sich von einem Medienanwalt erläutern lassen, „dass man einen Verdacht praktisch nur dann äußern kann, wenn er ­bewiesen ist – also kein Verdacht mehr ist“.

Aber nicht nur auf mangelndes Wissen und Inter­esse stößt Petra Reski. Sondern auch auf den Vorwurf der „Nestbeschmutzung“. Wenn sie in Deutschland belächelt wird und Menschen ihr raten: „Hör’ doch da mal mit auf“, dann trösten sie die Italiener, sagt sie. Es sei die jahrzehntelange Erfahrung von Italienern, dass gerade das ­Leben in der Öffentlichkeit vor der Mafia schütze. Schließlich könne man nicht 24 Stunden hinter Panzerglas verbringen.

„Und manchmal tut es gut“, sagt Petra Reski, „nachtragend zu sein. Ich habe ein gutes Gedächt­nis. Und noch ein paar Namen auf meiner Liste.“ Sicher ist: Ihr Kampf geht weiter.||

Werner Hinse

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