Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Systematische Urheberrechtsverletzungen beim WDR

Meine Bilder, deine Bilder?

Es klingt so schön einfach: Eine gute und hintergründig recherchierte Geschichte wird einmal als Film gedreht, und dann wird das Thema auf allen Kanälen des WDR crossmedial ausgespielt. Im Fernsehen gleich in mehreren Sendungen, im Radio auf allen Wellen der neuen Flotte von 1Live über WDR2 zu WDR4, dazu WDR5 oder Funkhaus Europa, im Web auf der Homepage des Senders und natürlich in kleinen Schnipseln auch über die Sozialen Netzwerke Facebook, Instagram und Twitter. Das äußerst wirtschaftliche Vorgehen ist technisch – dank der inzwischen fast abgeschlossenen digitalen Vernetzung – auch im Fernsehen kein Problem mehr.

Dass Video- und Audiodateien im Sender überall abgerufen werden können, lässt allerdings viele Fragen zum Urheberrecht der Autoren und zu den Persönlichkeitsrechten der Protagonisten ungeklärt.

Das Affenbaby auf allen Kanälen

Was das heißt, zeigt ein fiktiver Fall: Ein Autor begleitet für eine Lokalzeit über mehrere Tage den Umzug eines Gorillababys mit seiner Mutter aus einem belgischen Zoo und die ungewöhnliche Eingliederung in die bestehende Affenfamilie im hiesigen Tierpark. Am vereinbarten Sendetag wird der Bericht geschnitten. Doch längst bevor der Beitrag fertig ist und die Redaktion ihn abgenommen hat, hört der Autor die eigentlich exklusive Geschichte als Kollegengespräch auf 1Live – samt O-Tönen aus seinem Drehmaterial. Zugleich werden auf Facebook schon seine Filmausschnitte der süßen Neuankömmlinge geteilt und geliked. An sich wäre das kein Problem, aber der Autor weiß davon überhaupt nichts – und ein Honorar bekommt er schon gar nicht dafür. Das war bisher anders: Da wurden Autoren von anderen Redaktionen angefragt und konnten für diese dann entsprechende Beiträge produzieren.

Kein Wunder, dass das bei den freien Mitarbeitern für großen Unmut sorgt. Denn das Vergütungssystem des WDR fußte bisher auf der werkbezogen Honorierung. Das heißt, für jeden gesendeten Beitrag bekommen die Freien ein Honorar. Im Fernsehen gibt es als Zweitverwertungshonorar für eine veränderte Fassung zwar deutlich weniger als für die Erstfassung. Aber trotzdem summiert es sich schließlich.

Dabei sorgen Wiederholungen und Zweitfassungen schon seit Längerem für Ärger, wie zu hören ist. „Hörfunkbeiträge, die zum Beispiel für WDR5 produziert wurden, sind in gleicher oder gekürzter Form plötzlich auf WDR2 zu hören“, erzählt ein freier Mitarbeiter, der seit fast zwei Jahrzehnten für den WDR arbeitet und namentlich nicht genannt werden möchte. „Da werden wir Autoren nicht einmal informiert, und Wiederholungshonorare zahlt der WDR dann auch nicht.“ Inzwischen werde aber „zunehmend das gesamte ungesendete Rohmaterial auf einem Server gespeichert. Das gilt seit Kurzem auch für das Fernsehen.“ Nach seiner Beobachtung kann sich im Landesstudio Düsseldorf „jede Redaktion einfach selbst bedienen“.

Der Freie empfindet diese Situation in mehrfacher Hinsicht problematisch: „Neben den fehlenden Einnahmen durch Mehrfachverwertungen habe ich das Gefühl, zunehmend die Kontrolle über mein Thema und meine Rechercheergebnisse zu verlieren. Ich habe oft gar keinen Einfluss mehr darauf, in welchen Zusammenhang meine Protagonisten gestellt werden, weil ja irgendein Bearbeiter in einem x-beliebigen anderen Studio mal eben einen ganz anderen Beitrag daraus ‚strickt‘. Das ist auch journalistisch völlig daneben!“

„Vieles in der Erprobungsphase“

Auf die Frage nach den rechtlichen Fallstricken wollte der WDR dem JOURNAL nicht Näheres sagen. „Durch die crossmediale Arbeitsweise haben sich viele Arbeitsabläufe verändert, es ist ein laufender Prozess, in dem noch vieles in der Entwicklungs- und Erprobungsphase ist“, schreibt Barbara Feiereis vom WDR.

Immerhin beantwortet die Pressestelle Fragen zur Zentralen Austauschplattform (ZAP), seit Oktober 2014 im Funkhaus Düsseldorf in Betrieb: Ziel sei, „die bislang bestehenden digitalen Produktionsinseln über digital vernetzte Strukturen miteinander zu verbinden. Dabei werden neue Werkzeuge in der Programmproduktion bereitgestellt.“ Die Abläufe ändern sich dabei nach Auskunft von Feiereis nicht grundlegend, man erreiche jedoch eine „bessere Verwertbarkeit von Material redaktions-, genre- und medienübergreifend“. Die Verantwortung für die Verwendung des Materials obliege, „wie bislang auch, den Redaktionen“.

Mit der ZAP beschreite der WDR neben der Einführung neuer Werkzeuge auch technologisches Neuland, erläutert Feiereis. „Erstmalig werden in der Fernsehproduktion dabei ‚klassische‘ digitale Fernsehproduktionsmittel mit Standard-IT-Technik verbunden. Dies ermöglicht eine stabile, sichere Produktion bei gleichzeitig großer Flexibilität effizienter Betriebsabläufe.“ Mit Verweis auf „aktuelle Gespräche über neue Regelungen für crossmediale Leistungen“ bittet Feiereis darüber hinaus um Verständnis, „dass wir Ihre weiteren Fragen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten können“.

Dass  der WDR seine Sicht zu Fragen nach Urheber- und Persönlichkeitsrechten nicht erläutern mag, sieht DJV-Landesgeschäftsführerin Dr. Anja Zimmer kritisch: „Das wirft Fragen auf – entweder der Sender weiß, dass er im Unrecht ist, und will das öffentlich nicht zugeben. Oder aber, was mindestens genauso fatal wäre: Er hat sich zu diesem Thema bisher noch gar keine Gedanken gemacht.“

Der Justiziar des DJV-NRW, Christian Weihe, verweist auf den „Tarifvertrag über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR“, der in dieser Frage ausschlaggebend für die Freien ist. Darin werden dem WDR eindeutig alle Nutzungsrechte am sogenannten „Werk“ eingeräumt, erläutert Weihe: „Es kommt also maßgeblich darauf an, ob das Rohmaterial auch als ‚Werk‘ einzustufen ist. Rechtsprechung zu dieser Frage existiert bislang nicht.“

Viele offene Fragen

Abzuwägen ist bei der Verwendung von Drehmaterial auch, dass Fragen und oft auch Antworten der Interviewpartner dem Urheberrecht unterliegen. Die rechtliche Gemengelage wird nicht eben einfacher, wenn man bedenkt, dass Drehmaterial technisch oft von festangestellten Kameraleuten hergestellt wird. Oder dass Autoren, die zunehmend auch selbst drehen, dafür entweder WDR-Leihequipment oder eigene Kameras verwenden. Aus Sicht des DJV sind also noch sehr viele Fragen offen. 

Die zunehmende crossmediale Ausrichtung des WDR und die angedrohte außertarifliche und vom DJV abgelehnte Einführung von Producern in freier Mitarbeit (ausführlich dazu siehe "Ärger um den Producer") wird diese Probleme in Zukunft sogar noch verschärfen. Denn Producer sollen die Aufnahmen verwenden, die andere Autoren hergestellt und recherchiert haben. Aus DJV-Sicht wäre das die systematisierte Urheberrechtsverletzung.

Schon jetzt gibt es Redaktionen, die sich praktisch nur vom Dreh- und O-Tonmaterial anderer bedienen. Und damit sind nicht Sendungen gemeint, die wie Daheim&Unterwegs im Nachmittagsprogramm regelmäßig Archivbeiträge wiederholen. Es geht vielmehr zum Beispiel um das neue Youtube-Format des WDR mit dem Namen #3sechzig. Ein Autorin erzählt, diese Redaktion habe ihr bei einem tagesaktuellen Thema erklärt, dass sie nichts neu drehe: „Die sagten, dass sie sich immer nur an dem Videomaterial bedienen, das sowieso schon auf dem Server liegt. Und damit senden sie es, bevor mein Beitrag in der Lokalzeit läuft.“

Eine weitere Sorge, die die Autorinnen und Autoren umtreibt: Auf dieses Weise können Bilder und Aussagen auf den Sender kommen, die sich zwar im Drehmaterial befinden, die aber explizit nicht ausgestrahlt werden sollen. „Es kommt sogar ziemlich oft vor,“ erzählt die Autorin, „wenn wir mit unbedarften Fernseh-Laien drehen, dem normalen Bürger eben. Dann sagen wir ihnen oft: ‚Erzählen Sie doch erst mal ...‘ Später bespricht man dann, dass die ein oder andere Aussage nicht gesendet wird, weil es rechtliche oder andere negative Konsequenzen für den Interviewpartner haben könnte. Journalistisch ist das ja genau richtig, wenn ich den Protagonisten schütze. Aber wenn sich irgendwer beim WDR aus dem Drehmaterial bedient, kann ich mit meinem Wort nicht mehr dafür einstehen.“

Wie es die anderen machen

Urheber- und Nutzungsfragen sind natürlich bei vielen Medienunternehmen ein Thema. In kleineren Häusern ist die Digitalisierungswelle auch im Fernsehbereich längst abgeschlossen. Dennoch kann man die Ergebnisse nicht einfach übertragen. Beispiel WestCom GmbH in Dortmund, der NRW-Zulieferer für Sat1, Pro7 und N24. Hauptsächlich verantwortet die Redaktion das Magazin „17:30“. Dort arbeiten nach Angaben der Geschäftsleitung knapp 20 Mitarbeiter, die ihre Beiträge alle selbst drehen und selbst schneiden. Das Drehmaterial wird ebenfalls auf einem Server verwaltet. Da jedoch alle Mitarbeiter festangestellt sind, spielt die werkbezogene Bezahlung keine Rolle. Wenn Rohmaterial außerhalb des Dortmunder Hauses in der Mediengruppe weiterverwertet werden soll, werde grundsätzlich ein Zusammenschnitt vom Autoren gemacht.

Auch bei der InfoNetwork GmbH, dem Nachrichtenzulieferer der RTL-Mediengruppe in Köln, gibt es kaum werkbezogene Honorierungen. Die meisten „freien“ Mitarbeiter sind dort tageweise angestellt.

Auch innerhalb der ARD gibt es keine einheitliche Lösung. Beim SWR beispielsweise ist die Nutzung von Rohmaterial laut Personalrat nicht einfach in ‚Selbstbedienungsmentalität‘ möglich. Das sei durch eine Dienstanweisung des Intendanten geregelt. Beim Hessischen Rundfunk (HR) gibt es zwar eine Regelung aus dem sogenannten ‚Strategieprozesses hr.2020‘, doch die ist für die Autoren völlig unbefriedigend. Der Vorsitzende des zuständigen DJV Fachausschusses, Knuth Zilian, erklärt, dass seit der Server-Nutzung praktisch keine Mehrfachverwertungen mehr möglich seien und das eigene Rohmaterial zum Beispiel im Hörfunk für alle uneingeschränkt zugänglich und nutzbar sei. „Die Situation ist sehr, sehr misslich. Es gibt einseitige Honorarbedingungen und leider keinen Urhebertarifvertrag.“

Für den WDR will DJV-NRW-Geschäftsführerin Anja Zimmer auf jeden Fall Klarheit erreichen. „Die Nutzungsverträge beim WDR sind aus unserer Sicht eindeutig zugunsten der Freien formuliert. Es ist klar, dass sich durch die crossmediale Verbreitung und die Digitalisierung Veränderungen in den Arbeitsweisen ergeben können. Die müssen aber mit den Gewerkschaften geklärt sein.“ Die Autoren, so Zimmer weiter, seien ja keine Videodrohnen, deren Drehmaterial in Selbstbedienungsmanier von allen beliebig ausgeschlachtet werden könne.||

Frank Sonnenberg/Benjamin Franzken

JOURNAL 3/15

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