Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Die gesellschaftliche Realität in ihrer ganzen Vielfalt abbilden

Die Wirklichkeit ist bunt

„Vielfalt ist die Würze des Lebens“ stand schon für Schriftsteller und Diplomat Ernst von Wildenbruch im 19. Jahrhundert fest. Um Vielfalt ging es auch dem kürzlich verstorbenen Übersetzer Harry Rowohlt, als ihm eine Rolle in der TV-Serie „Lindenstraße“ angeboten wurde. „Dann aber bitte einen Penner“, soll er gesagt haben. „Das ist die einzige Randgruppe, die in der Lindenstraße noch nicht vorgekommen ist.“

Randgruppe – das ist eine Vokabel, die eine bunte Gesellschaft nicht kennen muss. In ihr steht keiner abseits, zumindest nicht dauerhaft und unfreiwillig. Denn es ist egal, ob jemand dick oder dünn, groß oder klein, alt oder jung, hetero- oder homosexuell, rothaarig oder blond ist, ob er eine Behinderung hat oder aus einem anderen Land kommt, Christ, Muslim oder Atheist ist. Diese Community begreift Vielfalt als Chance. Sie zeigt sich weltoffen, beweglich und tolerant. Sie lehnt Diskriminierung und Ausgrenzung ab. Klischees und Vorurteilen begegnet sie mit Selbstbewusstsein.

Wo gibt es solche Gesellschaften, in denen wirklich keiner um Verfremdung und Statusverlust fürchtet? Vermutlich nirgendwo. Fragt sich nur, wie stark in unserer realen Gesellschaft Fremdenhass, schwulenfeindliche Witze oder wegen behinderter Tischnachbarn klagende Restaurantbesucher den Alltag und die Schlagzeilen bestimmen.

Dass eine demokratische Gesellschaft die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit pflegt und vor allem die unzensierte Veröffentlichung von Informationen und Meinungen gewährt, stellt natürlich auch Medienmacher vor eine große Verantwortung. Sie sollen informieren, unterhalten, beraten und bilden – möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft.

Die Medien bestimmen das Bild

Christiane Link, querschnittsgelähmte Journalistin und Unternehmerin, ist davon überzeugt: „Die meisten Menschen bilden sich ihre Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen durch die Medien.“ Wenn Leser, Zuhörer oder Zuschauer aber „ständig eingeredet bekommen, behinderte Menschen sind arm dran, können nichts, haben nichts und führen ein zutiefst bemitleidenswertes Dasein, dann ist es sehr mühsam, dieses Bild als behinderter Mensch im Alltag zu korrigieren und ernst genommen zu werden. Oder einen Arbeitgeber zu finden, der einem etwas zutraut“.

Seit ihrer Kindheit ist Link auf den Rollstuhl angewiesen. In Mainz wuchs sie auf, zog aus beruflichen Gründen nach Hamburg, anschließend nach London und Wien. Aus beiden Hauptstädten berichtet sie derzeit für verschiedene deutschsprachige Medien über Politik, Wirtschaft, IT und Soziales.

Link ist Expertin auch in eigener Sache. Sie hält Vorträge zum Thema „Barrierefreiheit“, berät europaweit Unternehmen im Service für behinderte Kunden und schreibt für ZEIT Online in ihrem Blog „Stufenlos“ über Barrierefreiheit und damit auch Inklusion. „Es ist einfach falsch, eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Behinderung auszusondern und nicht teilhaben zu lassen“, erklärt sie. „Eine Gesellschaft sollte immer die größtmögliche Teilhabe aller zum Ziel haben.“

Daran führt kein Weg vorbei. Schließlich wird sich die Zahl der Menschen mit Behinderung durch das Altern unserer Gesellschaft drastisch erhöhen. Das Statistische Bundesamt registriert eine stetige Zunahme: Inzwischen gilt nahezu jeder zehnte Bürger als schwerbehindert. Allein in Nordrhein-Westfalen leben knapp 1,7 Millionen Menschen mit Behinderung. Auf den ersten Blick anzusehen ist das nur den wenigsten.

Link hingegen fällt auf mit ihrem Rollstuhl. Unabhängig von ihrer Außenwirkung begann sie früh, von ihrem Berufswunsch zu träumen: „Schon als Grundschülerin fand ich Nachrichten faszinierend“, erzählt sie. Einer Führung durch das ZDF als Neunjährige folgte die vollständige Entfaltung ihres „Mainzelmännchen-Gens“. „Da war ich endgültig Feuer und Flamme für den Beruf“, erinnert sich die gebürtige Mainzerin. Die Bedenken gegenüber einer Karriere in der Medienbranche überließ sie den anderen: „Man unterstellte mir, nicht schnell genug zu sein, keine Außentermine machen zu können“, erzählt Link.

Alle Vorurteile widerlegt

Sie trat den Gegenbeweis an, volontierte bei dpa – „man muss nirgendwo schneller sein als dort“ – und wurde als Redakteurin übernommen. „Ich habe unglaublich viele Termine von Bangalore bis Dubai gecovert und damit die Vorurteile widerlegt“, erzählt Link. In manchen Monaten war sie mehr in der Welt unterwegs als am Hamburger Desk.

Ratgeber für Journalisten

Wie sagt man es eigentlich besser? Angemessener? Weniger diskriminierend? Das Schreiben über einzelne gesellschaftlichen Gruppen bietet reichlich Stolpersteine. Abhilfe versprechen verschiedene Leitfäden, die Journalistinnen und Journalisten helfen, die richtige Perspektive und klischeefreie Formulierungen zu finden.

 

  • „Auf Augenhöhe“ heißt eine Broschüre, die Journalistinnen und Journalisten für Menschen mit Behinderung sensibilisiert. Sie enthält unter anderem Tipps für die Vorbereitung auf Interviews und zur bildlichen Darstellung. Der Flyer stammt von der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Weitere Informationen unter: www.behindertenbeauftragte.de.
  • Leidmedien.de ist eine Internetseite für Medienschaffende, die über Menschen mit Behinderungen berichten wollen. Aus der Sicht von behinderten und nicht behinderten Medienschaffenden bietet sie Tipps für eine Berichterstattung aus einer anderen Perspektive und ohne Klischees. Zu finden sind diese unter leidmedien.de/journalistische-tipps.
  • Die Broschüre „Fair Media“ versteht sich als Hilfestellung für die diskriminierungsfreie Berichterstattung über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das pdf steht unter fairmedia.seelischegesundheit.net zum kostenlosen Download.
  • Wer über homosexuelle Menschen berichtet, findet in der Broschüre „Schöner Schreiben über Lesben und Schwule“ neben kleinem Glossar auch zahlreiche Tipps über korrekte und weniger korrekte Formulierungen. Der Sprachführer lässt sich kostenfrei aus dem Internet herunterladen. Weitere Informationen unter: www.blsj.de/projekte/schoener-schreiben/.
  • Auch die Neuen deutschen Medienmacher (NdM), ein Zusammenschluss von Journalisten und Medienschaffenden mit Migrationshintergrund, haben ein Glossar herausgegeben, das „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“ gibt. Download: www.neuemedienmacher.de, Menüpunkt „Wissen/Glossar“.
  • Darüber hinaus betreiben die NdM eine Datenbank unter dem Titel „Vielfaltfinder“. Das Recherchetool soll Medienschaffen helfen, Experten mit Migrationshintergrund zu finden. Die Nutzung ist für Suchende wie Anbietende kostenfrei. www.vielfaltfinder.de, Menüpunkt „Das Projekt“./AS/cbl

Nach einigen Jahren trennte sich Link, die unglaublich gern auf Tour ist, von ihrem Arbeitgeber und zog nach London. Dort realisierte sie im vergangenen Jahr eines ihrer bedeutendsten Projekte: einen Film mit der Investigativ-Redaktion der BBC über die alltägliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Apropos BBC. Als Link zum Lunch erstmals die Kantine der weltweit größten gebührenfinanzierten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt besuchte, traute sie ihren Augen nicht: „Da saßen andere Journalistenkollegen mit sichtbaren Behinderungen.“ Erstmals fühlte sie sich nicht mehr als einzige offensichtlich behinderte Mitarbeiterin. „Da wurde mir sehr bewusst, wo die Unterschiede zu Deutschland liegen,“ berichtet Link. Inzwischen weiß sie, dass es auf der Insel viel mehr Journalisten mit Behinderung gibt als hierzulande, wo die Zahl der behinderten Journalisten die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht angemessen widerspiegele.

Nicht realitätsabbildend

Ihr Fazit zur Vielfalt in den deutschen Medien lautet: „Es gibt keinen Mangel an Berichterstattung über behinderte Menschen, aber einen Mangel an angemessener und realitätsabbildender Berichterstattung.“ Statt an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu arbeiten, werden „im Boulevard behinderte Menschen weiterhin mehrheitlich als bemitleidenswerte Geschöpfe dargestellt oder als Helden gefeiert. Dazwischen findet kaum etwas statt“, kritisiert Link. „Aber auch seriöse Medien berichten oft klischeehaft, vermutlich ohne es überhaupt zu bemerken.“ Damit degradiere man Menschen mit Behinderung, „was Auswirkungen auf den Umgang miteinander im Alltag hat“.

Auch Cinderella Glücklich ist viel im Rollstuhl unterwegs und gibt den Medienmachern keine Bestnoten. Die angehende Journalistin wünscht sich „mehr Authentizität und weniger Drama“ in der Darstellung von Menschen mit Behinderung, ob im Roman oder Hörspiel, auf dem Bildschirm oder der Leinwand. Glücklich steht noch am Anfang ihrer Berufskarriere. Sie studiert im vierten Semester Journalismus und Unternehmenskommunikation an der Business and Information Technology School in Iserlohn. Durch eine frühkindliche Hirnschädigung erlebt sie „jede Bewegung, die ich mache, fünfmal so anstrengend wie Nichtbehinderte“. Ihr Stoffwechsel gleicht dem einer Leistungssportlerin. Sie braucht einerseits regelmäßige und intensive Erholungsphasen, andererseits möglichst große Barrierefreiheit.

„Bin ich als Reporterin unterwegs“, erzählt Glücklich, „muss ich mir meist etwas Unkonventionelles einfallen lassen, um an den Ort des Geschehens zu gelangen und gutes Material zu bekommen. Aber genau das reizt mich so sehr!“ Mit dem Abschluss in der Tasche will die angehende Journalistin noch mehr Geschichten aufspüren, „um wachzurütteln und die Welt ein kleines bisschen gerechter zu machen“.

Lücke in der Berichterstattung

Für mehr Gerechtigkeit und größere Vielfalt engagiert sich bereits seit vielen Jahren auch Sabine Arnolds. Sie hat „Geschichten über Frauen – vor allem lesbische – in der deutschsprachigen Online- und Print-Welt“ vermisst und deshalb selbst die Ärmel hochgekrempelt. Gemeinsam mit einer anderen Aktivistin gründete die Kölnerin vor drei Jahren das Onlinemagazin phenomenelle. Über ihr eigenes Medium will sie die Lücke in der Berichterstattung verkleinern sowie mit Klischees und Vorurteilen in der Gesellschaft aufräumen. „In den Mainstream- oder etablierten Medien tauchen lesbische Frauen in der Regel nur auf, wenn sie schön, Mutter oder Opfer sind“, kritisiert Arnolds. Sie appelliert an Redaktionen, „weniger verkrampft und klischeebehaftet, stärker interessiert und offen für Neues“ zu agieren. Homosexuelle Menschen etwa seien weder „bekennend“ noch per se schrill, stellt sie klar.

Neben ihrer eigenen Community sieht die LGBT-Aktivistin (LGBT = Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) auch andere Bevölkerungsgruppen an den gesellschaftlichen und medialen Rand gedrängt: „Vielfalt findet weder quantitativ noch qualitativ statt. Das gilt für alle so genannten Minderheiten. Sie kommen mit ihren Geschichten und Lebensstilen nicht vor oder werden nur eindimensional und klischeebeladen beschrieben“, beobachtet Arnolds. „Weiß, hetero und männlich – darüber schreiben die etablierten Medien. Das sind Geschichten, die nur eine Minderheit von Menschen repräsentieren. Mich langweilen sie inzwischen“, erklärt die Kölnerin, die seit drei Monaten verpartnert ist. „Viel spannender finde ich zum Beispiel die Geschichte von der lesbischen Muslima, die nachts als DJane arbeitet.“

Arnolds‘ Onlinemagazin ist erfolgreich. Trotzdem wirft es nicht genug Geld ab, um davon zu leben. „Phenomenelle ist ein Herzensprojekt“, sagt die Chefredakteurin. Arnolds arbeitet zusätzlich als freie Journalistin, Texterin und Konzepterin überwiegend im Corporate Publishing. Auch lange Arbeitstage schmälern ihren Idealismus nicht, denn Arnolds weiß: „Ich habe den für mich schönsten Beruf der Welt.“

Ähnlich leidenschaftlich lebt auch Priya Bathe ihren Beruf aus. Sie musste aufgrund ihrer Herkunft schon manches Vorurteil wegstecken. Ihre Eltern stammen aus Indien. Bathe hingegen kam in Bocholt zur Welt und wuchs hierzulande auf. Ihr Migrationshintergrund, nimmt sie an, habe den Weg in die klassischen Ressorts versperrt – aus Vorurteilen. „Offen gesagt hat dies jedoch niemand“, erzählt sie. „Das schränkte mein Arbeitsinteresse sehr ein.“ Über Jahre konzentrierte sich Bathe auf Auslandsreportagen für den Rundfunk.

Zudem engagiert sie sich bei den Neuen deutschen Medienmachern, dem Verband der Journalisten und Medienschaffenden mit Migrationshintergrund. Durch diese Arbeit ist die freie Journalistin schließlich „gewollt und sehr gerne zur Migrationsexpertin“ geworden und hat ihre Tätigkeiten inzwischen vervielfältigt.

Bathe arbeitet vorrangig als „Tagungsmoderatorin für die Weiterentwicklung des migrationspolitischen Prozesses in unserem Land und damit einhergehend auch im Bildungsbereich“, ferner als freie Rundfunk-Redakteurin in der Online-Redaktion des Deutschlandfunks.

Nachlässigkeit oder Vorsatz?

Ihr Urteil über die Vielfalt in der Berichterstattung fällt – unabhängig persönlicher Erfahrungen – mittelmäßig aus. Stark in der Kritik steht bei ihr die Boulevardpresse. Über Schlagzeilen wie „Migrant rettet Kind vor dem Ertrinken“ oder „Türke als Geisterfahrer unterwegs“ kann sie nur den Kopf schütteln, sofern die Ethnie nicht ursächlich für das Ereignis steht. „Entweder ist es dem Journalisten nicht bewusst, hier eine tendenziöse Berichterstattung mit Ressentiments gegen eine Ethnie zu schüren – was ich gern glauben würde. Oder man möchte das bewusst tun“, erörtert Bathe.

Auch reibt sie sich oft an der Berichterstattung über Rumänen und Bulgaren. Wer nur die Zahl der Zuwanderer, nicht aber die der Auswanderer nenne, verzerre das Bild enorm, sagt Bathe. Ob die Fehler in der Recherche oder in bewusster Vernebelung liegen, lässt sich naturgemäß nur schwer ergründen. In ihren Überlegungen berücksichtigt Bathe: „Boulevardmedien leben davon, dass sie teilweise Ressentiments schüren.“

Sensibilität im Umgang mit sogenannten Randgruppen kennt die Freelancerin hingegen aus ihrer Arbeit bei öffentlich-rechtlichen Sendern wie dem Deutschlandfunk: „Als eine Inderin in Delhi vor zwei Jahren brutalst vergewaltigt wurde, fragten meine Kollegen mich, wie ich die Situation einschätze“, erzählt Bathe. „Mir wurde ein Bericht zum Gegenlesen vorgelegt und so konnte ich auf Grund meiner indischen Herkunft und Landeskenntnis noch ein paar Anmerkungen vorschlagen.“

Sensibilität auch bei Privatsendern

Auch in manchen Chefetagen privater TV-Fernsehsender herrsche „durchaus eine Sensibilität für korrekte und nicht-tendenziöse Berichterstattung“, beobachtet Bathe. Die Gesellschaft hat sich nämlich verändert: „Viele Journalisten haben selbst einen Migrationshintergrund, sind Korrespondenten, bilden die freie Mitarbeiterschaft – und die Zielgruppe besteht eben auch aus Migranten“, sagt die freie Journalistin. Auch spreche die Bundesregierung inzwischen von einer Willkommens- und Anerkennungskultur.

Darüber hinaus regt Bathe an,

  • dass Journalisten bewusst Experten mit Migrationshintergrund für alle Themenbereiche anfragen,
  • dass Redakteure auch Migranten über Innenpolitik oder Kultur schreiben lassen,
  • dass Verleger/Intendanten/Direktoren allerorts Integrationsbeauftragte ernennen und Stellenausschreibungen durch den Passus ergänzen, dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund begrüßt seien; gleiches empfiehlt Bathe für die Auswahl von Volontären, um Nachwuchs auszubilden, „der die veränderte Gesellschaft der kommenden Jahrzehnte in Deutschland auch versteht und repräsentiert“.
  • dass Politiker sich deutlich zu Deutschland als Einwanderungsland und Migranten sich als Teil der deutschen Gesellschaft sich bekennen,
  • dass Berufsverbände verstärkt Seminare zum Themenbereich „Darstellung von Migranten und Migrationsthemen in den Medien“ anbieten.

Um mehr Vielfalt zu erreichen, brauche man sicherlich noch Geduld, meint Bathe. Gelassen fügt sie hinzu: „Nach 40 Jahren mit dem Stempel Gastarbeiter oder Gastarbeiter-Kind auf der Stirn haben wir einen langen Atem!“

Wie viele Migranten im DJV-NRW organisiert sind, darüber gibt es keine Statistik. Die Abfrage käme einer Diskriminierung gleich. Es ist allerdings zu vermuten, dass etwa die Bonner Journalistenvereinigung (BJV) besonders viele Kollegen mit Migrationshintergrund hat. „Weil bei uns eine Reihe von Mitarbeitern der Deutschen Welle organisiert sind“, erklärt BJV-Vorsitzender Hajo Goertz. Er schätzt den Anteil von Migranten auf rund 20 Prozent. Nach seinen Beobachtungen sind die internationalen Kollegen voll integriert. Lediglich in ihren Wünschen würden sie manchmal auffallen. So erklärte ihm kürzlich ein Kollege mit ausländischen Wurzeln: Er fände eine vom DJV zusammengestellte Liste über Stipendienwerke und Träger spezieller Sprachkurse und journalistischer Fachseminare hilfreich.

„Damit kann der DJV-NRW leider so nicht dienen“, erklärt der Landesvorsitzende Frank Stach. „Ein Seminar zum Thema Migranten im Journalismus planen wir allerdings tatsächlich für das nächste Jahr.“ Auch sonst will sich der Landesverband verstärkt der Frage widmen, wie er einladender für die Journalisten aus den gesellschaftlichen Gruppen werden kann, die nicht ausreichend in den Medien vertreten sind und auch nicht angemessen dargestellt werden.

Landesweit wird sich ab Herbst eine Arbeitsgruppe der besonderen Wünsche und Bedürfnisse unter anderem von Mitgliedern mit Migrationshintergrund widmen. Sie soll den Antrag „Vielfalt in den Medien und in der Berichterstattung“ der Kölner Journalisten-Vereinigung vom jüngsten Gewerkschaftstag in Düsseldorf in die Realität umsetzen (siehe Kasten „Selbstverpflichtung“).

Die Offenheit deutlicher zeigen

Das Ergebnis wird auch Norma Langohr interessieren. Sie vertritt den DJV-NRW im Bundesfachausschuss Chancengleichheit und hat schon ein paar Ideen, was der DJV tun kann: Vor Ort etwa Flüchtlingsorganisationen ansprechen und geflohene Journalisten ausfindig machen sowie auf Landes- und Bundesebene verstärkt mit dem Verein der Ausländischen Presse in Berlin e.V. und mit Behindertenverbänden kooperieren. „Ich glaube, wir müssen uns in der Öffentlichkeit stärker positionieren“, bemerkt Langohr selbstkritisch. „Nach außen wirken wir oft wie ein closed shop.“ Obwohl, meint die Beauftragte für Chancengleichheit, „wir im DJV schon jetzt sehr heterogen sind“.

Dass Vielfalt grenzenlos ist, wird auch deutlich bei Presseanfragen zu diesem Thema. Die meisten Sprecher der Medienhäuser reagieren reflexartig mit einer Gegenfrage: „Was meinen Sie mit Vielfalt?“ Sie vermuten dahinter eher eine kritische Anfrage zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung als eine umfassende Nachfrage zur Inklusion aller Mitarbeiter.

In großen Rundfunkhäusern wie RTL bzw. infoNetwork, Deutschlandfunk, Deutscher Welle und WDR gibt es feste Ansprechpartner für Mitarbeiter, die sich benachteiligt fühlen: Viele von ihnen sind weiblich und klopfen bei den Gleichstellungsbeauftragten an.

Selbstverpflichtung im DJV-NRW

Zwischen dem Bewusstsein, dass man „mehr“ zu einem Thema machen könnte, und der konkreten Umsetzung klafft schon mal ein kleiner Spalt. Der DJV-NRW hat sich deshalb offensiv eine Selbstverpflichtung auferlegt, um der Vielfaltsidee zusätzliches Gewicht zu verleiten: Der Gewerkschaftstag 2015 verabschiedete in Düsseldorf einen entsprechenden Antrag.

 

„Der Gewerkschaftstag beauftragt den Landesvorstand, sich in den Medien, in den eigenen Reihen und in der Berichterstattung für Vielfalt und ein gleichberechtigtes Miteinander aller gesellschaftlichen Gruppen einzusetzen.

 

Vielfalt und Gleichberechtigung sollen dabei unter allen Medienschaffenden gelten, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter oder Behinderung, auch unabhängig von sexueller Orientierung, von religiösen oder politischen Ausrichtungen, soweit diese mit Freiheitsrechten und Demokratie vereinbar sind.

 

Dazu soll der Landesvorstand nach geeigneten Wegen suchen, um den Gedanken der Vielfalt in den eigenen Reihen noch besser umzusetzen. Er kann dazu Arbeitsgruppen einsetzen und die Kooperation mit Verbänden ausbauen, die gleiche Ziele verfolgen, und bindet diese zum Beispiel in den Journalistentag ein.

 

Der DJV wird zudem beauftragt, zum Beispiel unter den Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund und unter denen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, die bisher nicht ausreichend in den Medien vertreten sind, auch aktiv um Mitglieder zu werben.“

 

Ähnlich hatte sich der Landesverband 2012 darauf verpflichtet, für ein besseres Miteinander von Festen und Freien zu werben: Auf Anregung des Fachausschusses Freie Journalisten hatte der DJV-NRW den FAIRhaltenskodex entwickelt und im Bund auf den Weg gebracht./AS/cbl

Charta der Vielfalt

Die „Charta der Vielfalt“ ist eine 2006 gegründete Wirtschaftsinitiative nach dem nach französischen Vorbild „Charte de la diversité“. Nach Überzeugung der Initiatoren kann die deutsche Wirtschaft unter den Vorzeichen von Globalisierung und demografischem Wandel nur erfolgreich sein, wenn Unternehmen die Vielfalt (Diversität) der Mitarbeiter nutzen – die unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Unternehmen, die die Charta unterzeichnen, verpflichten sich darauf, ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen./cbl

Sie kommen vor allem mit Fragen zur beruflichen Weiterbildung oder zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Schwerbehindertenvertretungen hingegen kümmern sich naturgemäß um Mitarbeiter mit Behinderung, aber auch um Kollegen mit drohender Behinderung oder psychischer Erkrankung.

Der WDR hat darüber hinaus einen Integrationsbeauftragten, bei dem sich eher Organisationen melden als einzelne Mitarbeiter. Sie loben oder tadeln das Programm in seinen multikulturellen Ansätzen – inklusive der Hörfunkwelle Funkhaus Europa, die der WDR gemeinsam mit rbb und Radio Bremen betreibt. Um seinem Bildungsauftrag auch in Sachen Integration gerecht zu werden, versucht der WDR jährlich über die sechswöchige Talentwerkstatt „Grenzenlos“, journalistische Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund zu gewinnen. Gemeinsam mit Profis entwickeln zwölf junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen neue journalistische Beiträge.

Im Programm und der Redaktion

Die Verantwortlichen des größten ARD-Senders wissen: „Es ist und bleibt die Herausforderung für die Redaktionen, die soziale Wirklichkeit abzubilden und zwar sowohl im Programm selbst als auch in der Zusammensetzung der Redaktionsteams“, erklärt WDR-Sprecherin Kristina Bausch und ergänzt, dass „der WDR als bundesweit einziger Sender die angemessene Berichterstattung über Gleichstellung, Behinderung und interkulturelle Kompetenz als festen Baustein in seiner Volontärsausbildung verankert hat.“

Zudem hat sich der WDR zur Chancengleichheit regelrecht verpflichtet – als Unterzeichner der „Charta der Vielfalt“, einer Unternehmensinitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen (siehe Kasten unten). Im vergangenen Sommer gründete der Sender dazu einen Diversity Beirat, dem Vertreter aller Direktionen und die neutralen Berater angehören. Das Gremium erarbeitet, „wie der WDR sich zukünftig noch mehr für gleichwertige Chancen seiner Beschäftigten einsetzen kann – unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung oder auch der sexuellen Identität“.

Wo aber bleibt die Gerechtigkeit, wenn auffallend viele Moderatorinnen ab 50 von den Bildschirmen verschwinden? Entscheidend seien fachliche Qualifikationen, Glaubwürdigkeit und ein geeignetes Profil für das jeweilige Sendeformat, heißt es dazu in einer schriftlichen Mitteilung der WDR-Abteilung Presse und Information.

Partizipationschancen für alle

Unter dem Druck einer modernen Gesellschaft steht auch die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Als Aufsichtsbehörde des privaten Rundfunks ist sie „neben der Sicherung der rein technischen Infrastruktur auch für die Sicherung einer kommunikativen Grund- und Daseinsversorgung zuständig, die Zugang und Partizipationschancen an Medieninhalten für alle schafft“, teilt LfM-Direktor Dr. Jürgen Brautmeier mit.

In diesem Zusammenhang weist er auf eine aktuelle Studie in Kooperation mit Aktion Mensch hin. Sie untersucht die Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen. „Ziel der Studie ist es, ein möglichst differenziertes Wissen über die medienbezogenen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und über die sich bei der Mediennutzung ergebenden Zugangsbarrieren zu erhalten“, erklärt Brautmeier. Zum beauftragten Team der TU Dortmund und des Hans-Bredow-Instituts der Uni Hamburg gehören auch Menschen mit Behinderung. Mit ihrem Ergebnisbericht werden sie unter anderem Handlungsempfehlungen abgeben, etwa zur Untertitelung von Filmen für Menschen mit Hörschädigung oder zu Audiodeskriptionen für blinde Menschen.

Unabhängig von Studien steht für die querschnittsgelähmte Kollegin Christiane Link fest: „Die Medienlandschaft muss vielfältiger werden. Das ist das beste Mittel gegen vorurteilsschwangere Berichterstattung.“||

Angelika Staub

JOURNAL 4/15

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