Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Eine Analyse belegt: Vorratsdatenspeicherung gefährdet den Informantenschutz

Die Recherche wird gläsern

Manche Veränderung in der digitalen Welt geschieht subtil. Etwa die Erosion des Informantenschutzes, wie die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zeigt. Auch in der analogen Welt wollten staatliche Stellen wissen, woher Journalisten ihre Informationen haben. Aber Eingriffe in die Pressefreiheit wie in der Spiegel- und Cicero-Affäre führten zu einem Aufschrei in der Bevölkerung. Das Bundesverfassungsgericht als Hüterin der Pressefreiheit stärkte wiederholt das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und das Durchsuchungsverbot von Redaktionen. Beide Rechte bilden in Deutschland klassischerweise den Informationenschutz. Klassisch meint hier: analog.

In der digitalen Welt begibt sich kein Strafermittler mehr auf dünnes Eis und verhört Journalisten. Stattdessen werden gerne Telefonverbindungsdaten abgefragt. Schon heute sind Journalisten davor nicht geschützt: Die Strafprozessordnung sowie Polizei- und Geheimdienstgesetze erlauben es, in bestimmten Fällen digitale Kommunikationsdaten von Journalisten auszuwerten. Dieser Missstand wird umso gravierender, wenn durch die Vorratsdatenspeicherung die gesamte digitale Kommunikation von Journalisten dokumentiert wird.

Dieses Problem ist bekannt, doch bisher fehlte es an empirischen Belegen. Um das zu ändern, überwachte ich mich für die Abschlussarbeit meines Journalistik-Studiums an der TU Dortmund bei einer Recherche für boerse.ARD.de selbst. Immer wenn ich zu einem konkreten Fall recherchierte, griff ich die anfallenden Daten ab und speicherte sie.

Dazu liefen auf meinem Computer Programme, die den Traffic live erfassten und in Logfiles speicherten. Gleichzeitig legten spezielle Plug-ins im Internetbrowser Verzeichnisse der verwendeten IP-Adressen an, Surfverläufe wurden festgehalten und Cookies aus dem Browser nicht mehr gelöscht. Allein bei der Internetnutzung kamen so rund 39,2 Millionen Datensätze zusammen.

Die Kommunikation per Mobiltelefon oder Mail erfasste ich fortlaufend in Tabellen, die einem Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung glichen: Mit wem habe ich wann wie lange telefoniert? Wo war ich, als ich die SMS abgeschickt habe? Ich simulierte damit eine Totalüberwachung. Doch Teile dieser Daten werden auch bei einer Vorratsdatenspeicherung gespeichert.

Alle Daten wurden anschließend in ein Raster übertragen und systematisiert, um Fälle zu bilden: Welche Daten erhalten Strafverfolger durch eine Abfrage von Vorratsdaten? Was bei einer sogenannten, umfassenderen Verkehrsdaten-Abfrage? Und was bei einer Online-Durchsuchung, also dem Zugriff auf sämtliche auf meinem Computer gespeicherten Daten?

Enge Verbindungen nachweisbar

Das Ergebnis war eindeutig: Jedes einzelne Kommunikationsmittel (Telefon, Mail, Internet etc.) wies meine engen Verbindungen zu Personen nach, die ich schützen musste und über deren Identität ich vor Gericht hätte schweigen dürfen. Dies galt bereits für eine Vorratsdatenspeicherung, in der noch vergleichsweise wenige Verbindungsdaten gespeichert werden. Fügte man alles zusammen, war meine Recherche durch die Daten gläsern und wies mich zum Teil auf Dinge hin, die ich kaum noch erinnerte. Die Daten hatten meiner Recherche die Vertraulichkeit genommen, die ich manchen Personen während der Recherche zusicherte.

Die Ergebnisse zeigen: Journalisten müssen sich gegen die Vorratsdatenspeicherung wehren. Wenn jeder Kontakt mit Informanten erfasst wird und ausgewertet werden kann, verlieren wir eine Grundbedingung für freie Berichterstattung: die  Vertraulichkeit. Ausnahmeregelungen für Berufsgeheimnisträger wie Journalisten, Ärzte, Geistliche und Rechtsanwälte sind reine Symbolik: Die Daten werden trotzdem gespeichert und unterliegen lediglich einem Verwertungsverbot. Um zu wissen, dass Daten nicht verwertet werden dürfen, müssen sie analysiert werden – damit sind die sensiblen Informationen bereits in der Welt.

Die zentrale Erkenntnis des Experiments ist noch tiefgreifender. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung ein zweites Mal kippt, bleiben Daten Teil der journalistischen Arbeit. Wer digitalen Informantenschutz ernst nimmt, verlässt sich nicht auf Paragrafen der Strafprozessordnung. Es muss Teil der journalistischen Berufsethik werden, datensparend zu arbeiten, sich technisches Grundwissen anzueignen, Verschlüsselung anzubieten und nach Möglichkeit persönliche Treffen zu vereinbaren. Digitaler Informantenschutz ist nämlich vor allem eines: so analog wie möglich.||

Daniel Moßbrucker

JOURNAL 5/15

Newsletter

Cookie Einstellungen