Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Auf Studienreise mit Kollegen aus vier Ländern

Austauschen, vernetzen, voneinander lernen

Eine Woche mit Kolleginnen und Kollegen aus vier Ländern verbringen. Eine Woche, in der es um Erinnerungskultur geht, in der die Zeit des Nationalsozialismus eine ebenso große Rolle spielen wird wie unser heutiger Umgang damit. Wir, das sind Journalisten und Historiker aus Russland, der Ukraine, Belarus und Deutschland. Alle mit einem Ziel: die Anderen, ihre Arbeit, ihre Werte und Vorstellungen besser kennenzulernen.

Als ich die Ausschreibung für diese Studienreise der Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk gGmbH auf der Facebook-Seite des DJV finde, bin ich sofort begeistert. Der gemeinsame Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, in denen die Arbeitsbedingungen so anders zu sein scheinen als bei uns, reizt mich. Auch das Thema lässt mein Historikerinnen-Herz höherschlagen. Schon oft habe ich mich journalistisch mit Gedenkstättenarbeit, Zwangsarbeit und ähnlichen Themen auseinandergesetzt. Das nun eine Woche lang ganz intensiv machen zu dürfen, erscheint mir als tolle Chance. Mich faszinieren auch die Orte der Reise, die durch das Auswärtige Amt gefördert wird: Krzyżowa in Polen, wo sich einst der Kreisauer Kreis, eine Widerstandsgruppe um Helmuth James Graf von Moltke, zusammengefunden hat, Wroclaw, das frühere Breslau, sowie Gedenkorte in Dresden und Berlin.

Mein Motivationsschreiben fällt mir darum nicht schwer. Als ich nichts höre, hake ich das Thema innerlich ab. Das war wohl nichts. Beim nächsten Mal vielleicht. Dann bekomme ich doch eine Mail. „Insgesamt sind knapp 400 Bewerbungen bei uns eingegangen, und die Auswahl der zehn Teilnehmer pro Land ist uns bei dieser großen Zahl von Interessenten nicht leicht gefallen.“ Aha, wohl eine Absage. Zum Glück lese ich weiter: „Umso mehr freuen wir uns, mitzuteilen, dass Ihre Bewerbung erfolgreich war.“ Weil das meine erste Reise dieser Art sein wird, bin ich etwas aus dem Häuschen.

Pressefreiheit und Einflussnahme

Und die Vorfreude steigt. Ich beginne, zu recherchieren. Über Erinnerungskultur, aber auch über die journalistische Arbeit in den drei osteuropäischen Staaten, aus denen die anderen Teilnehmer stammen. Ich freue mich darauf, zu erfahren, wie sie arbeiten und wie sie zu den Themen Pressefreiheit und politische Einflussnahme stehen.

Schon am ersten Abend wird mir klar: Wenn ich öffentlich über diese Reise berichte, werde ich keine Namen nennen. Denn beim Sprechen über Erinnerungskultur ist eine gewisse Offenheit erforderlich, die wahrscheinlich nicht überall gerne gesehen wird. Andererseits geht es nicht ohne diese Transparenz. Das wird allen spätestens bewusst, als wir in Kleingruppen unsere Familiengeschichte auf den Tisch bringen. Wir Journalisten und Historiker, die zum einstigen Tätervolk gehören, und die osteuropäischen Kollegen, in deren Familien viele Verbrechen der Nationalsozialisten bis heute allgegenwärtig sind. Etwa, weil unsere Kollegen von klein auf ermahnt wurden, nie ein Stück Brot wegzuwerfen, da der Großvater im besetzten Leningrad Hunger leiden musste. Oder weil die Großmutter ein Konzentrationslager überlebte und nach wie vor unter Ängsten leidet.

Die Offenheit spielt auch in unseren Diskussionen eine immer größere Rolle. Wir reden mehr und mehr über die Herausforderungen in unserem beruflichen Alltag. Teilweise erstaunt sie mich, teilweise bin ich von der Selbstverständlichkeit irritiert, mit der einige Kollegen von Repression erzählen. „Wir wollten über ein Thema berichten und durften es dann auch, nachdem ein Gouverneur aus der Region es geprüft hat“, berichtet eine Kollegin und nimmt diese Tatsache als gegeben hin. Spannend auch die Art der Diskussionsführung. Politische Uneinigkeiten und aktuelle Ereignisse fließen immer wieder ein, stellen das eigentliche Thema oft in den Hintergrund: Putin und Russland, die Ukrainepolitik, Lukaschenko, den deutsche Medien gerne mal als letzten Diktator Europas bezeichnen.

Gemeinsamkeiten entdecken

Trotzdem werden uns auch viele Gemeinsamkeiten deutlich. Ganz schnell wird zum Beispiel klar: Ein Thema an den Mann oder die Frau zu bringen ist für freie Journalisten in Belarus, der Ukraine und Russland ein ebenso hartes Brot wie bei uns. Besonders dann, wenn es um eher schwierige Themen wie den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust geht. Und wir lernen viel voneinander. Etwa, dass es in Belarus als Beleidigung aufgefasst wird, wenn wir über „Weißrussland“ berichten. Die Bezeichnung sei „Nazi-Jargon“, merkt eine Kollegin an. Wir sprechen offen über solche Punkte. Auch abends nach Seminarende sitzen wir zusammen, tauschen uns aus, lernen einander besser kennen.

Ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Groß-Rosen zeigt uns einmal mehr, was für ein Geschenk es ist, dass wir heute, 70 Jahre nach Kriegsende, gemeinsam etwas erarbeiten dürfen. Kurzes Zusammenzucken nur, als ein Kollege ruft: „Es hat sich doch gar nichts geändert. Bei uns in der Ukraine leben die Gefangenen noch immer unter ähnlichen Bedingungen wie damals.“

Meine Erwartungen, einen neuen Blickwinkel zu finden, erfüllen sich. Insofern ist das Projekt ein wahrer Gewinn. Raum für eigene Recherchen bleibt allerdings wenig. Gerne hätte ich dazu mehr Zeit und Möglichkeiten gehabt. Der ganze Verlauf ist stringent durchgeplant und zeitlich eng getaktet. Ein Anstoß für weitere Geschichten ist die Fahrt aber auf jeden Fall. Meine Kladde ist unter der Überschrift „Themenideen“ so eng beschrieben wie selten zuvor. Und vielleicht das Beste: Wir Journalisten haben uns vernetzt, wollen in Kontakt bleiben. Mein größtes Ziel ist also erreicht.||

Daniela Lukaßen

 

JOURNAL 6/15

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