Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Haltern nach dem Flugzeugabsturz: Medienarbeit jenseits kommunaler Grenzen

Kooperation als Lehrstück

Hier haben wir ein Telefon, das klingelt schon die ganze Zeit.“ So simpel beginnt vor gut einem Jahr ein Job auf Zeit in Haltern am See, der zu einem Lehrstück in kommunaler Krisenkommunikation werden dürfte. Florian Adamek, damals noch Sprecher des Jobcenters Kreis Recklinghausen, zieht sich in der Halterner Feuerwehr-Leitstelle das Sakko aus und nimmt den Telefonhörer ab. „Bloomberg, deutsche Zeitungen, Agenturen aus aller Welt. Es klingelte in einer Tour. “

Haltern in aller Welt

Das war der Nachmittag des 24. März 2015, an den heute zwei Gedenkstätten in der Stadt erinnern – mit in Stahl und Granit eingestanzten Namen von 16 Schülern und zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums. Ihr Absturz mit Germanwings-Flug 4U9525 in Südfrankreich war eine Katastrophe für die Stadt. Bilder vom Kerzenmeer vor der Schule gingen um die Welt. Ebenso wie die von Halterns trauerndem Bürgermeister Bodo Klimpel und Schulleiter Ulrich Wessel.

Innerhalb weniger Stunden kamen Journalisten aus aller Welt in die Stadt. Sie haben „bis auf ein paar Ausreißer“ Abstand von Angehörigen und Schülern gehalten, lobt heute Halterns Stadtsprecher Georg Bockey. Dass sie den Abstand halten konnten, liegt aber auch an der professionellen Arbeit von drei Pressesprechern. „Fast auf Zuruf“ arbeiteten Bockey, Adamek und Dorstens stellvertretender Pressesprecher Ludger Böhne in den nächsten vier Tagen zusammen. Ihre Chefs hatten sie kurzerhand nach Haltern abgestellt, um das zu erwartende Medieninteresse zu bewältigen. Der Zufall wollte es, dass sich alle kommunalen Pressesprecher im Kreis Recklinghausen an Morgen des Unglückstags getroffen hatten, um über Krisenkommunikation zu sprechen. Hinzu kam, dass Bockey, Adamek und Böhne früher als WAZ-Redakteure in Haltern gearbeitet hatten. Sie kannten einander und die Stadt. Bockey: „Da war ein fast blindes Verständnis.“

Informationsangebote

Die Kollegen aus der Nachbarschaft schlüpften schnell in ihre neuen Rollen als gemeinsame Sprecher für Haltern in einer Ausnahmesituation. „Ludger Böhne und ich haben das Backoffice gemacht“, erzählt Adamek, „Georg Bockey hatte den Hut auf.“ Das Trio einigte sich mit der Halterner Stadtspitze und der Polizei darauf, die ankommenden Journalisten mit Informationsangeboten umzuleiten: Das Gymnasium sollte Ort der Trauer für Angehörige und Schüler sein. In Uniform sorgten die Recklinghäuser Polizeisprecherinnen Ingrid Such und Ramona Hörst an der Feuerwehr-Absperrung vor der Schule dafür, dass das geachtet wurde.

„Die irre Medienpräsenz“ spürte das Sprecher-Trio dann wenig später bei der ersten Pressekonferenz von Halterns Bürgermeister, nachdem der Tod der Schüler bestätigt worden war. Gezählt hat keiner mehr die TV-Teams. Böhne: „Das war gefühlt eine Hundertschaft. Aber ohne Gedrängel, erstaunlich.“ Adamek ist bis heute beeindruckt von der breiten Wand aus Kollegen im Ratssaal der Stadt. Bockey: „Ich habe noch nie so viele Kollegen weinen und arbeiten gesehen.“ Bis heute zeigten die bei ihm einlaufenden Medienanfragen „große Sensibilität“.

Der Ratssaal wird für die nächsten Tage zum Medienzentrum mit Strom, Wasser und Kaffee. Einfaches Kanalisieren, aber effektiv. Das unerlässliche Beobachten der Social-Media-Kanäle übernimmt die Pressestelle in der Kreisverwaltung. Und das Trio organisiert an jedem der nächsten Tage in der Krise mit Pressekonferenzen und Informationen bewusst Bilder. Auch weil sie aus eigener Erfahrung den Druck von Reportern vor Ort kennen, die Bilder und Geschichten liefern müssen.

Adamek fasst es heute so zusammen: „Krisen wecken das Interesse der Öffentlichkeit, die ein Recht auf Information hat. Und das rund um die Uhr, 24 Stunden.“ Um dann aber den Nachrichtenfluss zu kanalisieren, sei eine „aktive, kontinuierliche und verlässliche Medienarbeit nötig“. Die war auch für alle Journalisten vor Ort transparent. So bekam zum Beispiel jeder nur drei O-Ton-Fragen vom Bürgermeister beantwortet; weder einzelne Journalisten noch bestimmte Medien sollten bevorzugt werden. Mit einer Ausnahme von dieser Regel: Für die Lokalzeitungs-Kollegen aus der Region gab es Informationen, die der Nähe geschuldet waren. Adamek: „Es gibt ja auch noch eine Zeit nach der Krise.“

Die Ausnahmesituation für Stadt und Pressestellen ist ein Jahr später aufgearbeitet. Es steht im Kreis Recklinghausen fest, dass sich Pressesprecher künftig in ähnlichen Fällen über Stadt- und Gemeindegrenzen hinweg helfen sollen. Und dass sie sich nun regelmäßig treffen, damit sie sich kennen und in solchen Notlagen schnell miteinander arbeiten können. Für kommunales Kirchturmdenken ist heute kein Platz mehr, stellt Bockey heraus: „Keine Verwaltung unseres Zuschnitts kann so eine Lage mehr alleine bewältigen.“||

Werner Hinse

JOURNAL 2/16

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