Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Kuratieren: Nicht neu in der Medienwelt, aber mit neuer Bedeutung

Für Sie gelesen – Empfehlungsjournalismus

Nur lesen, was einen wirklich interessiert. Die redaktionellen Sahnestücke aus dem Medienangebot zu einem Thema zu finden. Seine individuelle „Tageszeitung“ nach Interessenlage zusammenstellen. Eine Reihe von kürzlich gestarteten Medienportalen will Orientierung ins (Über-)Angebot bringen und ihren Lesern ausschließlich Inhalte bieten, die hochwertig und für sie persönlich relevant sind.

Dafür durchforsten Redaktionen und Expertenteams unter eigenem Label die journalistischen Inhalte anderer Medienmarken und Blogs, filtern das Beste heraus und empfehlen es weiter. Wo man früher vielleicht ein Zitat oder einen Lesetipp im Artikel hatte, wird heute mit Begründung gleich der ganze Artikel vermarktet. Das Ganze läuft unter dem Begriff „Kuratieren“. Die inhaltliche Qualität der Beiträge ist dabei das Kriterium für die Empfehlung.

Der Leser kauft oder abonniert nicht mehr eine komplette Zeitung oder ein Magazin, sondern bekommt Content á la carte, losgelöst und entbündelt von der ursprünglichen Veröffentlichungsquelle. Und er findet auf die Weise auf den neuen Portalen unter „seinen“ Kategorien und Themen schon mal Artikel von Quellen, die er selbst im Web eher nicht angesteuert hätte.

„Programmzeitung für das gute Netz“

Zu diesen neuen Portalen gehört zum Beispiel Piqd. Seit Ende November versuchen die Gründer, zahlende Leser zu gewinnen. „Piqd ist eine ‚Programmzeitung für das gute Netz‘. Wir glauben, dass mediale Komplettpakete zunehmend an Attraktivität verlieren und stattdessen herausragende Einzelinhalte in den Fokus des Leserinteresses rücken“, sagt Frederik Fischer, Chefredakteur von Piqd. 

Das Portal setzt dabei wie seine Mitbewerber auf die menschliche Komponente: Fachleute geben Leseempfehlungen. „Unsere Experten verbürgen sich mit ihren Empfehlungen für eine Vielzahl an Quellen. Das Vertrauen in sie überträgt sich auf das Vertrauen in ansonsten fremde Quellen. So leisten wir unseren Beitrag zu einer vielseitig informierten Öffentlichkeit“, beschreibt Fischer das Selbstverständnis.

Zu den Piqd-Experten gehört Matthias Spielkamp, der Mitgründer, dann Chefredakteur und  heute Herausgeber von iRights.info sowie Gründer und Managing Partner beim iRights.Lab. Als Experte sollten „sie ein Gefühl dafür haben, was ihre Community interessant und relevant findet“, erklärt Spielkamp. Was eine Publikation und eine Nachricht relevant bzw. einen Text lesenswert mache, ist nach seiner Überzeugung nicht allgemein zu beantworten. Denn es komme auf die Zielgruppe an, der man die Texte empfiehlt. „Wenn man für Reportage-Interessierte empfiehlt, trifft man die Auswahl nach anderen Kriterien (zum Beispiel spannend geschrieben), als wenn man für Netzpolitik-Interessierte auswählt“, sagt der Kurator.

Dabei stelle sich generell die Frage der Glaubwürdigkeit. „Zum einen hat jeder Mensch eine Haltung. Zum anderen entsteht Vertrauen (bei klugen Menschen) in einem Prozess, nicht durch den Status ‚Experte‘. Wenn Menschen sich ein halbes Jahr lang die Texte anschauen, die ich empfehle, sie mit dem vergleichen, was sie sonst lesen, und feststellen, dass es gute Empfehlungen waren, werden sie anfangen, mir zu vertrauen. Wenn nicht, dann kann mein Experten-Status noch so bekannt sein, sie werden es trotzdem nicht tun.“

Die Recherche nach Experten startet bei Piqd in diversen Suchmaschinen (Google, FollowerWonk, LinkedIn etc.). „Sobald wir eine Handvoll Experten gefunden haben, bitten wir diese, uns geschätzte Kolleginnen und Kollegen zu empfehlen.“ Neben einer tadellosen Reputation sei wichtig, dass die Experten einen breiten digitalen Medienkonsum pflegen und ein grundsätzliches Verständnis für Kommunikation im Netz mitbringen. Sie dürfen zum Beispiel „nicht zu dröge“ formulieren und müssen offen sein für den Dialog.

Mut zur Muße

Die Philosophie von Piqd: „Wir haben Mut zur Muße: Bevor wir halbgar Recherchiertes empfehlen, empfehlen wir lieber nichts.“ Im Augenblick gibt es 17 Themenkanäle mit jeweils vier bis zehn Experten. Die Themen bestimmt Piqd zusammen mit den Mitgliedern. Abonnenten können die aktuelle Themenabstimmung einsehen.

Nach eigenen Angaben hat die Plattform eine tägliche Reichweite von mehr als 15 000 Lesern. Der wöchentlich verschickte Newsletter mit etwa 3 000 Abonnenten habe eine tägliche Öffnungsrate von rund 50 Prozent. Die Piqd-Macher haben eine klare Vorstellung, welche Leser sie ansprechen möchten. „Unsere Zielgruppe sind Nutzer, die sich einen Ort im Internet wünschen, der frei ist von reißerischen Überschriften, schlecht recherchierten Inhalten – und von Trollen. Kommentieren und über neue Themenkanäle entscheiden können bei uns ausschließlich registrierte Nutzer mit kostenpflichtigem Premiumzugang (pro Monat kostet diese Premiummitgliedschaft drei Euro)“, erläutert Piqd-Chefredakteur Fischer.

Expertenempfehlungen gibt es auch anderswo im Netz. Der Unterschied zu anderen Anbietern: Die Piqd-Experten posten nicht einfach ihre besten Fundstücke. Sie begleiten jede Empfehlung mit einem kurzen, pointierten Text, der den Beitrag einordnet, bewertet und dem Nutzer erklärt, warum dieser Beitrag seine wertvolle Lebenszeit wert ist. „Letzteres ist so entscheidend, weil der Kampf um Aufmerksamkeit ständig zunimmt. Journalismus steht dabei in Konkurrenz mit zahllosen Inhalten, die Unterhaltung versprechen. Substanzielle Inhalte überzeugen nur, wenn sie gute Gründe liefern, sich mit ihnen auseinander zu setzen“, erklärt Fischer.

Einzelstücke zum kleinen Preis

Seit dem Herbst ist auch Blendle auf dem deutschen Markt: Der Online-Kiosk, den manche als „iTunes für den Journalismus“ bezeichnen, verkauft einzelne Zeitungs- und Zeitschriftentexte für kleines Geld. Darunter Texte aus der Süddeutschen Zeitung, der ZEIT, dem Spiegel, dem Stern, dem Focus und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch der journalist ist dabei.

Micropayments pro Artikel ist das Zauberwort. Weiteres Plus: Bei Nichtgefallen kann man Artikel zurückgeben und erhält das Geld gutgeschrieben. Als Gründer Marten Blankesteijn das Portal bei Besser Online 2015 in Köln vorstellte, war das Interesse groß. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass die deutsche Ausgabe schafft, was schon in den Niederlanden gelungen ist: Das Blendle-Angebot wird von mehr als 650 000 Menschen genutzt.

Blendle will vor allem eine jüngere Zielgruppe ansprechen. „Über die Hälfte unserer Nutzer ist unter 35 Jahre alt“, berichtet Michaël Jarjour, Senior Editor beim deutschen Blendle-Ableger. „Viele von ihnen haben noch nie eine Zeitung abonniert und informieren sich vor allem im Internet. Anders als auf vielen anderen Plattformen funktionieren auf Blendle einzigartige Texte, die über kostenlose Webseiten nicht erhältlich sind. Dazu gehören Analysen, lange Interviews und tiefe Recherchen.“

Aber Blendle ist nicht nur ein überzeugendes Modell, journalistische Inhalte endlich im Netz zu monetarisieren. Es funktioniert zugleich als Empfehlungsportal: Themenkanäle wie „Wirtschaft“, „Politik“, „Klima und Wandel“ oder „Medien und Gesellschaft“ bieten Lektüreempfehlungen von Experten. Unter ihnen sind Prominente wie der YouTube-Star Tilo Jung oder Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, aber auch Kolleginnen und Kollegen, die sich ihren Namen eher in Fachkreisen gemacht haben.

Zudem empfiehlt das Blendle-Journalistenteam täglich und wöchentlich per Mail die Beiträge, die aus seiner Sicht die spannendsten des Tages bzw. der Woche sind. Dabei achten die Kuratoren „auf Relevanz und Qualität. Blendle-Nutzer wollen nicht nur erfahren, worüber gerade geredet wird, sondern auch, was dazu Kluges gesagt werden kann. Auch Artikel mit hohem Nutzwert sind auf Blendle erfolgreich“, erklärt Jarjour.

Mit den Nutzerzahlen verfügt Blendle über ein wichtiges Monitoring-Instrument – und einen Gradmesser für gute Artikel. Die Zahlen werden mehrmals täglich angeschaut und verraten, „ob wir unsere Arbeit gut gemacht haben. Besonders nützlich sind dabei die Rückgaberaten. Artikel mit den geringsten Rückgaberaten sind solche von hoher Qualität. Die mit der prozentual höchsten Zahl an Rückgaben sind oft solche, die oberflächlich recherchiert sind und in der Schlagzeile mehr versprechen, als sie im Text halten. Clickbait funktioniert auf Blendle einfach nicht.“

Technologie und Journalismus

Unter den neuen Anbietern in diesem Feld ist auch Springer: Mit Upday, einem News-Stream per App, will der Medienkonzern dem Nutzer im Mobilbereich Inhalte zuliefern, die für diesen persönlich relevant sind. Seit Februar führt das Mobile-Nachrichtenportal nach eigenem Anspruch „Inhalte von vertrauenswürdigen Marken und Bloggern in einem einfachen Format zusammen“ und will „moderne Technologie und großartigen Journalismus miteinander verbinden“. Springer kooperiert für die deutsche Ausgabe mit rund 300 Medienpartnern, europaweit sind es insgesamt rund 1 000 Inhalte-Lieferanten.

Auch Upday sortiert und filtert vorhandene Inhalte. In diesem Fall erstellt ein Algorithmus die erste Auswahl, die durch eine Redaktion verfeinert wird. „Bei uns kuratieren Journalisten die Topnachrichten“, erklärt Upday-Produktchef und Chefredakteur Jan-Eric Peters Ende Februar in der WELT. Diese Top-News fassen die Redakteure in wenigen Sätzen zusammen. Wer mehr lesen will, landet mit einem Klick beim Originaltext auf der Ursprungsseite. Nutzer können zudem ihre persönlichen Präferenzen eingeben und durch ihr Nutzungsverhalten verfeinern. Dadurch soll ein Mix aus relevanten News und privaten Interessengebieten entstehen.

Finanziert werden soll das Projekt mittels Werbung, deren Vermarktung ab Mitte des Jahres beginnen soll. Sogenannte Ad Blocker, also Programme, die Werbung auf normalen Seiten ausblenden, sollen Springer zufolge bei Upday nicht funktionieren.

Bisher ist die News-App ausschließlich für hochwertige Samsung-Smartphones verfügbar. Bis Ende 2016 soll Upday nach Vorstellung der Macher auf rund 10 Millionen Smartphones vorinstalliert sein. Bei diesem Ausgabemedium soll es nicht bleiben. News auf Tablets, Smartwatches sowie selbst auf Fernsehern und Displays moderner Kühlschränke des koreanischen Herstellers seien langfristig vorstellbar, heißt es.

Start aus dem Kleinen

Während Blendle und Piqd als Unternehmen starteten und hinter Upday sogar pure Marktmacht steckt, gibt es andere Formen des Kuratierens, die aus dem Kleinen kommen und ihre Keimzelle oft im persönlichen Interesse eines kompetenten Gründers haben. Dazu gehört der Social Media Watchblog, ein „Nebenbei-Projekt“ von einem Team rund um Gründer Martin Giesler, der beim Spiegel-Ableger bento für Social Media und Webkultur verantwortlich ist. Seit Februar 2013 stellen die Macher von Social Media Watchblog relevante News zusammen und mailen sie als „Briefing“ montags bis donnerstags früh an mehr als 2 200 Abonnenten.

Auch die kostenlose publisherNews (#pn) geht per Mail raus, zusätzich über Facebook und Twitter. Den Vorläufer startete Andreas (Andy) Artmann 2011 auf Xing als Zusammenstellung von Leseempfehlungen. Heute wird der Branchendienst von einem Verlag verantwortet und finanziert sich durch Werbung. „Wir sind mit rund 8 000 Abonnenten gestartet und streben 10 000 Nutzer an“, erklärt Artmann. Als Zielgruppe sieht er alle, die publizieren und den stetigen Wandel interessiert begleiten.
Die „kuratierten Kurznachrichten für die Branche aus der Branche“, wie es auf der Internetseite heißt, erscheinen wochentäglich morgens. Freitags mittags gibt es einen zusätzlichen „Long Read“, den ein Team von Kuratorinnen und Kuratoren gemeinsam erstellt. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe posten die Teammitglieder Vorschläge (Texte und Links), die das Kuratorium dann diskutiert, befürwortet, ablehnt und ergänzt. Erst die abgestimmte Meldung fließt in den Newsletter ein. Das gilt auch für das Leser-Feedback: Inhaltliche Fehler, die diese melden, werden in der nächsten #pnAusgabe, in den sozialen Medien und im #pn-Archiv korrigiert. Als „Social Editing“ bezeichnet Artmann diese Arbeitsweise.  „Durch die Streuung in den sozialen Netzwerken sind wir marktbeeinflussend. Durch das Social Editing sind wir einmalig. Kurz: In unserer Nische sind wir Majestät.“

Was einen Kurator ausmacht? Für Artmann ist es „ein Mensch, der viel Lebenszeit einem Themengebiet opfert. Wer tiefes praktisches Fachwissen mitbringt, Erkenntnisse gerne mit der Allgemeinheit teilt und das Herz auf der Zunge trägt“ – der qualifiziere sich von alleine, um für publisherNews zu schreiben. Der Fokus liege auf den relevanten Nachrichten, nicht auf den neuesten. Artmann: „Qualitätskriterium ist, was reflektiert und inhaltlich eingeordnet wurde. Wir bevormunden und langweilen die Empfängerinnen und Empfänger nicht.“

Keine Publikation oder Nachricht sei für sich genommen relevant, betont er – „ausgenommen vielleicht unmittelbare Naturkatastrophen. Erst die Reflexion auf ein Ereignis und der Bezug zum eigenen Leben bildet die Nachricht. Ein Beweis? Die Schüsse von Sarajevo haben den Ersten Weltkrieg nicht ausgelöst. Die Einordnung und Politisierung der Tat schon.“ Für die publisherNews sei ein Text lesenswert, wenn er in erster Linie Wissen vermittle. Es könne auch die Zuspitzung einer Meinung sein oder der Unterhaltungswert. Die Empfänger entscheiden.

Zitieren 2.0

Um das Lesenswerte geht es auch bei anderen, nicht-kommerziellen Formen des Empfehlungsjournalismus und Kuratierens. Digitale Werkzeuge wie Storify erlauben es, unterschiedliche Artikel und multimediale Inhalte zu einem archivierenden Dokumentationsstream zu bündeln und so zum Beispiel eine Zeitschiene mit Veröffentlichungen zu erstellen. So kann das „Zitieren 2.0“ als Stilmittel zur Dokumentation eingesetzt werden. Wie sich ein Thema entwickelt, zeigt zum Beispiel The Telegraph zum Tod von David Bowie. Neben den Beiträgen, die beim The Telegraph erschienen sind, werden hier auch Fundstücke aus Sozialen Medien kommentierend eingebunden: Tweets und Statements von Prominenten, Bildergalerien und Filmschnipsel.
Auch die Macher von HashtagNow (siehe Interview unten) wollen ein Instrument liefern, das die Inhalte aus sozialen Netzwerken und dem Web besser nutzbar macht und kommentiert zusammenführt. Ähnlich wie bei Springers App sollen dabei Algorithmus und menschliche Expertise zusammenspielen.

Kampf um Aufmerksamkeit

Im neuen Trend zum Kuratieren zeigt sich der Wettbewerb im Netz – einerseits um qualitativ hochwertigen Journalismus, andererseits um die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer. Empfehlungsjournalismus ist Basis für interessante neue Geschäftsmodelle. Online-Plattformen wie Blendle oder Piqd bieten ihren Lesern ein gewisse Orientierung im Artikelangebot der unterschiedlichsten Medien und haben damit mehr als nur Duftmarken besetzt. Die neuen Medienmarken sind mit dem Versprechen am Markt, das Beste und Relevanteste für den Leser zu bieten, was das Netz hergibt. Thematisch gebündelt, bekommt er Stück für Stück vorgesetzt. Ein wenig erinnert es an eine moderne Feinkosttheke. Darf es noch ein Stück mehr sein? Mit einem Klick ist man dabei.

Wichtig ist für die Branche zudem, dass hier Geschäftsmodelle zur Monetarisierung von redaktionellen Inhalten entstehen. Verdienen sollen alle: das Portal, der Anbieter und der Urheber. Ob sich diese Art von Monetarisierung letztendlich für die Autoren auszahlen wird, bleibt abzuwarten.

Zudem ist noch offen, ob es längerfristig nicht eine Konzentration auf Bestseller-Artikel und -Inhalte entsteht. Im Sinne der Geschäftsmodelle bedeutet eine hohe Nachfrage mehr Umsatz. Die Gefahr wäre, dass Nischenthemen, auch wenn sie inhaltlich herausragend sind, kaum mehr stattfinden. Die herkömmliche Art der Bündelung von Inhalten in einer Tageszeitung oder einer Zeitschrift bot die Möglichkeit, dass man beim Blättern noch zufällig über „Randthemen“ stolperte. Online ist das schon schwieriger, wenn man seinen Empfehlungsfokus nicht bewusst sehr breit setzt.

Und noch etwas muss sich erst zeigen: Welches reale Entwickungspotenzial die neuen Portale und ihre Geschäftsmodelle haben. Aus den vergangenen Jahren kann man sich an manchen Hype erinnern, der nicht wirklich Bestand hatte.  Schaffen es die Empfehlungsplattformen, wirklich zur eigenen Medienmarke zu werden? Erst auf längere Sicht wird man sehen, was letztlich den Lese- oder sogar Kaufanreiz für den einzelnen Nutzer ausmacht. Und was Leser anzieht und überzeugt: Ist es das Portal mit seinen glaubwürdigen Experten, der Verlag, unter dessen ursprünglicher Medienmarke der Artikel erschienen ist, oder gar der Autor selbst, der plötzlich mehr in den Mittelpunkt rückt und selbst zur Marke wird?||

Frank Sonnenberg

JOURNAL 2/16

HashtagNow will Social News Hub werden

Meistgeklickt, meist geliked, viel auf Social-Media-Plattformen geteilt, mit Hashtags versehen etc. Keine Frage, eine Verschlagwortung hilft bei der schnellen Einordnung eines Themas, es erleichtert die Suche und vermindert eventuell Fehleinschätzungen. Die Macher von HashtagNow haben sich als Ziel gesetzt, Inhalte, Meinungen und Wissen, das in den sozialen Netzwerken und dem Web verteilt liegt, besser nutzbar zu machen. Auch für Leute, die sich ansonsten gar nicht so intensiv mit Twitter, Instagram & Co. beschäftigen. „Wir wollen zu der News-Plattform werden, die Nutzer öffnen, um einen Überblick zu bekommen, über was gerade in diesem Moment gesprochen und diskutiert wird. Ein Social News Hub“, so Jan König, Gründer der neuen Plattform.

 

JOURNAL: Welche Bedeutung haben #hashtags für Sie im Alltag?

 

Jan König: Hashtags sind Themen, über die Leute gerade sprechen. Für uns ist es super interessant anzusehen, wie sich immer mehr Personen öffentlich äußern und Stellung beziehen. Durch die sozialen Netzwerke kann jeder zum Publisher werden. Hashtags helfen dabei, die Inhalte in sonst so überwältigenden Newsfeeds zu gruppieren und Themen und Diskussionen live zu verfolgen.

 

JOURNAL: Wo setzen Technik und Konzept bei HashtagNow an? Ist es vergleichbar mit einem Social-Hub, wie es die Lufthansa anbietet, wo nicht nur Twitter auftaucht?

 

König: Sehr interessante Frage, da wir genau in diese Richtung gehen. Bisher waren Social Media Monitoring Tools (die Journalisten und Marketing-Abteilungen helfen, die interessantesten Themen im Web zu identifizieren) und Social Hubs (Live-Event-Walls oder kuratierte Sammlungen) nur für Unternehmen oder professionelle Nutzer zugänglich. Wir wollen diese beiden Funktionalitäten zusammenpacken, um Lesern eine neue Form von News-Konsum bieten zu können. Mit Themen, die direkt von der Quelle kommen, aus den sozialen Netzwerken. Zusätzlich bieten wir noch nutzergenerierte Beschreibungen und die Einordnung von Themen in Kategorien an, um Kontext zu schaffen.

 

JOURNAL: Wie wichtig ist für Sie dabei Ihre Community? Gibt es spezielle Kompetenzfelder?
König: Mit HashtagNow verbinden wir schon das Ziel, algorithmisch und automatisiert zu funktionieren, die Inhalte werden aber von Menschen angereichert. Sprich: Wir ziehen aus den sozialen Netzwerken automatisiert die passenden Inhalte zu einem Hashtag, und Nutzer können diese jeweils mit Upvotes bewerten und dadurch sortieren. Ein kleiner Teil der Community wird nutzergenerierte Beschreibungen anlegen (das sind in der Regel ein Prozent oder weniger bei solchen Konzepten).

 

Wir sind noch ziemlich am Anfang und erst im Februar unter dem neuen Namen HashtagNow gestartet. Die Beziehungen zu unseren Nutzern und interessanten Persönlichkeiten im Social Web bauen wir gerade erst aus. Da wir eine News-Seite von Nutzern für Nutzer sind, ist uns unsere Community natürlich extrem wichtig, und wir werden viel Energie investieren, diese aufzubauen.

 

JOURNAL: Was können Menschen besser als eine automatisierte Hashtagsammlung?

 

König: Kontext. Algorithmen werden immer besser, und auch unser Ziel ist es, immer weiter automatisiert zu funktionieren. Aber für Kontext und Zusammenhänge werden Computer meiner Meinung nach niemals ein Ersatz sein. Nehmen wir als Beispiel das Hashtag #besorgteEier: Der Zusammenhang „besorgte Bürger“, rechte Hetze unter Fakeaccounts und Eier als Twitter-Profilbilder war schon für viele Personen nicht nachvollziehbar. Da wird menschliche Recherche interessant.

 

JOURNAL: Gibt es Vorgaben oder Kriterien, nach denen die Inhalte gebündelt werden?

 

König: Inhalte werden nach Hashtags gebündelt, das ist aktuell unser Kriterium. Angemeldete Nutzer können manuell weitere Inhalte von Plattformen einfügen, die noch nicht automatisiert unterstützt werden. Hierbei vertrauen wir auf unsere Up- und Downvote-Mechanismen und die Melden-Funktion, um sicherzustellen, dass die Inhalte passend sind.

 

JOURNAL: Wer ist Ihre Zielgruppe? Ist das Projekt nur auf den deutschsprachigen Raum beschränkt?

 

König: Wir werden ab März auch eine englischsprachige Version anbieten, da wir unser Konzept auf jeden Fall international erfolgreich sehen. Auch von der Masse an Inhalten und Nutzern in den sozialen Netzwerken ist Deutschland aktuell recht weit hinten. Unsere Zielgruppe sind Millenials (Altersgruppe 18 bis 34), die informiert bleiben wollen, was auf der Welt geschieht (82 Prozent) und Interesse an sozialen Netzwerken haben. Für Twitter-Power-User sind wir dabei aber aktuell weniger attraktiv als für Leute, die zwar Interesse an aktuellen Entwicklungen in den Netzwerken haben, der Informationsflut auf Twitter & Co. aber skeptisch gegenüberstehen.

 

JOURNAL: Gibt es schon eine Strategie, wie man mit dem Projekt Geld verdienen möchte?
König: Wir arbeiten gerade gemeinsam mit Agenturen an zwei Pfeilern, die in dem Sinne interessant für uns sind:
1) Native Advertising in Form gesponserter Hashtags: Hier können Unternehmen ihre Kampagnen präsentieren. Viele zahlen jetzt schon für Social-Hubs im Business-to-Business-Bereich (B2B). Wir verbinden dies mit gesteigerter Reichweite.
Dafür bauen wir gerade unsere Nutzerbasis immer weiter aus.
2) Hashtag Analytics: Für viele Unternehmen und Event-Veranstalter ist es interessant, herauszufinden, welche Äußerungen es zu ihrem Hashtag gibt. Welche einflussreichen Personen (Influencer) involviert waren und welche Artikel geteilt wurden. Auch die Entdeckung neuer Hashtags passend zum Unternehmen und zur Branche sind hier interessant.

 

Die Fragen stellte Frank Sonnenberg.

 

JOURNAL 2/16

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