Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Rheinische Post und Mediengruppe Boll setzen im Bergischen aufs Agenturprinzip

Die Vermischung geht weiter

Stefan Kob spricht von einer „Lebensschwelle von 5.000“, wenn es um Auflagen geht. Kob ist Chefredakteur des Solinger Tageblatts (ST) und des Remscheider General-Anzeigers (RGA) – beide Tageszeitungen gehören zur Mediengruppe Boll. Und bei den beiden RGA-Lokalausgaben Wermelskirchen und Radevormwald/Hückeswagen liegt die Auflage deutlich unter 5 000. „In Radevormwald haben wir 900 Abonnenten, in Hückeswagen 600“, sagt Kob – und erklärt rasch, dass man in dem Bestreben, das „eigene Haus wetterfest zu machen“, die Redak­tionen eigentlich nur schließen könne.

Schwierige Marktsituation

Diesen Schritt geht Verleger Boll genausowenig wie die Rheinische Post (RP). Immerhin. Selbst Horst Röper vom Formatt-Institut in Dortmund, versierter Experte für den Tageszeitungsmarkt in NRW und Verfechter des Erhalts von Medienvielfalt, bescheinigt der RP im Verbreitungsgebiet Solingen und Remscheid eine schwierige Lage. So hat die Solinger Morgenpost gerade mal einen Marktanteil von 10 Prozent, die Bergische Morgenpost kommt in Remscheid auf 20 Prozent. Röper: „Die Zeitungen sind seit vielen Jahren defizitär.“

Nun also suchen die Lokalkonkurrenten, die laut Röper auch bisher schon eng miteinander verwoben sind, die Lösung in einer neuen Kooperation. Ab dem 1. November soll im Bergischen nach dem Agenturprinzip gearbeitet werden, wie es die RP bereits mit der Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung seit gut zwei Jahren in Düsseldorf, Duisburg und am Niederrhein vormacht. Der jeweils Stärkere wird das Kommando übernehmen: Die beiden Platzhirsche ST und RGA liefern in Solingen und Remscheid alle Lokalnachrichten des Tages der RP zu; Platzhirsch RP liefert im Bergischen Umland (Wermelskirchen, Radevormwald, Hückeswagen) dem RGA zu. Die belieferte Redaktion kann zusätzliche Beiträge ergänzen und die eigene Haltung etwa in Analysen und Kommentaren verdeut­lichen, ­damit der Leser die Bindung behält.

Die Redakteure des Boll-Verlags am Desk in ­Solingen müssen sich auf einen Mehraufwand einstellen. Denn sie werden nicht nur weiterhin alle Lokalausgaben produzieren, sondern auch ihre Nachrichtenplanung sowie tagesaktuelle Änderungen an die Kollegen der Morgenpost weitergeben. Chef­redakteur Kob hofft auf funktionierende automatisierte Prozesse für diesen Austausch, sieht aber den höheren Kommunikationsaufwand und sogar eher eine Aufstockung der Mannschaft.

In Wermelskirchen hingegen, wo bis Ende Oktober noch der Nachrichtenstoff für die Umlandausgaben entsteht, seien die Reporter bald durch die „Grundversorgung mit Lokalnachrichten“ aus der RP-Redaktion vom „Routinekram“ ­befreit. Das führe zu mehr Zeit für Recherche und dies wiederum zur Stärkung des Profils. „Auch als Nischenzeitung kann man Nadel­stiche setzen“, ist Stefan Kob überzeugt. Das Sticheln übernehmen dann nur noch drei Redakteure – einer verlässt Wermelskirchen und geht nach Solingen.

Standorte sichern

Auch bei der RP haben alle Mitarbeiter „ein Arbeitsplatzangebot erhalten. Lediglich vier Kollegen werden außerhalb der Region Bergisches Land eingesetzt“, verrät Chefredakteur ­Michael Bröcker in seiner Antwort per Mail ans JOURNAL. Darin unterstreicht er natürlich die positiven Aspekte der Kooperation und schreibt unter anderem: „Damit sichern wir alle Standorte und verzichten auf gravierende Entscheidungen trotz eines schwierigen Marktumfelds.“

Die neue Kooperation kostet (jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt) keine Stellen. Und die Lokalausgaben werden nicht komplett vom Wettbewerber geliefert. Das kennt man hundertfach schlimmer aus der traurigen Geschichte der Westfälischen Rundschau (WR) in Dortmund, wo der kompletten Redaktion 2013 gekündigt wurde und der Lokalteil des publizistischen Erzfeindes Ruhr Nachrichten Einzug ins Blatt hielt. Mit der Folge, dass die Zombie-Zeitung WR an vielen Orten schlicht einging.

Weniger Aufträge für Freie

Verlierer gibt es bei dieser neuen Abmachung auf dem Tageszeitungsmarkt NRW dennoch. ­Allen voran die freien Mitarbeiter, die sich auf deutlich weniger Aufträge einstellen müssen. Auch wenn Chefredakteur Bröcker erklärt: „Freie Mitarbeiter gehören auch weiterhin zu unseren Autoren.“ Auch wenn Chefredakteur Kob versichert: „Die Freien, die wir haben, versuchen wir zu halten.“

Ein weiterer Verlierer ist die Meinungsvielfalt: Dem Leser werden weniger unterschiedliche Einschätzungen angeboten. Man wird den ­Unter­schied spüren, wenn zum Beispiel die meisten Termine im Bergischen Land demnächst nur noch von einer Zeitung wahrgenommen werden. Kommentare, Hintergründe und Analysen in der eigenen Gewichtung des jeweiligen Blattes in allen Ehren. Aber braucht es dafür nicht doch zunächst die ­Basisinformation aus erster Hand?

„Die Vermischung von Inhalten verschiedener Zeitungsverlage schwächt den Prozess der Meinungsbildung in der Gesellschaft“, ist Frank Stach überzeugt. Der Vorsitzende des DJV-NRW warnt davor, Lokalausgaben anzugleichen und dem Leser diese Mischkost vorzusetzen. Und Zeitungsforscher Horst Röper hat die Sorge, dass dies ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg zur Aufteilung von Verbreitungsgebieten ist.|| Silke Bender

 

JOURNAL 5/16

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