Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Recherchen, die von Dritten bezahlt werden, sind eine Gratwanderung

Reisen ohne Reisekosten

Interna öffentlich zu machen bringt manche ins Gefängnis, andere bewahrt es davor. Für Franz D. gilt Letzteres. Der Österreicher war, bis er in Untersuchungshaft in die JVA Köln-Ossendorf kam, über ein Jahrzehnt lang Pressechef der Europaniederlassung des Autokonzerns Mazda in Leverkusen gewesen, und die Beweise, dass er sich dabei unter anderem bei der Abrechnung von Pressereisen systematisch um Millionenbeträge bereichert hatte, waren erdrückend. Die 6. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts verurteilte ihn denn auch wegen schwerer Untreue, banden- und gewerbsmäßigen Betrugs und Steuerhinterziehung zu einer sechsjährigen Haftstrafe. Aber sein ausführliches Geständnis sorgte dafür, dass der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde und dass Franz D. aus dem Gerichtssaal sofort nach Hause gehen konnte. Der PR-Spezialist hatte den Richtern ausführlich die üblichen Praktiken der Medienpflege des Autobauers beschrieben. Was er erzählte, bestätigte alle Vorurteile, die man jemals über Pressereisen gehabt haben kann: Es regierte ein Journalismus aus der Hölle.

„Super Destination, super Hotel, super Service, super Geschenke“ – das sei seine verlässliche Erfolgsformel gewesen, um Autojournalisten zu einer positiven Berichterstattung zu bewegen, zitiert ein Prozessberichterstatter den angeklagten Pressechef in der Berliner Zeitung. Franz D. lud zu Autopräsentationen stets in schicke Destinationen wie Saint Tropez ein, luxuriöses Hotel, Rundumbetreuung und Flüge in der Business Class inklusive. Zehn dieser Großevents habe er pro Jahr für Mazda organisiert. „Jeder Journalist konnte in den Fünf-Sterne-Hotels die Minibar leer trinken, an der Bar Champagner bis zum Abwinken bestellen, alle Dienstleistungen, die solch ein Hotel anbietet, auf unsere Kosten in Anspruch nehmen“, berichtete er.

Satter Mehrwert für Veranstalter

Geld genug, um die mitreisenden Fachjournalisten bei Laune zu halten, war da: Die PR-Abteilung habe über ein Budget von bis zu 16 Millionen Euro verfügt. „Wir hatten eine ganz einfache Rechnung: Der durchschnittliche Journalist kostet bei unseren Events drei- bis fünftausend Euro. Bringen musste er einen Gegenwert von mindestens 15.000 Euro. Das haben wir immer geschafft“, zitiert die Berliner Zeitung Franz D. Den Erfolg der Champagnerfahrten habe seine Abteilung mit Argusaugen ausgewertet, die Artikelhöhe akribisch ausgemessen, die Länge der Fernsehberichte notiert. Verglichen mit den Kosten, die eine Anzeige oder ein Werbefilm für Mazda verursacht hätten, seien die Millionen-Events „geradezu billig“ gewesen, von dem Mehrwert der höheren Glaubwürdigkeit journalistischer Beiträge mal ganz abgesehen. Sein Fazit: „Unser Kalkül ging immer auf: Wer derart hofiert wird, tut sich schwer, anschließend etwas Schlechtes über unser Auto zu schreiben.“

Solche Geschichten sind Wasser auf die Mühlen aller, die Pressereisen als Einfallstor für Korruption und Journalistinnen und Journalisten als von Reichen und Mächtigen leicht zu beeinflussende, willfährige Gesellen kritisieren. Den „Gefallen an Gefälligkeiten“ bescheinigte das netzwerk recherche (nr) einem Teil der Reise-, Auto- und auch Wirtschaftsjournalisten 2013 in einer gleichnamigen Kurzstudie über Journalismus und Korruption. Das bleierne Schweigen, wenn wieder mal Enthüllungen über obszön luxuriöse Journalistenreisen ans Tageslicht kämen, lasse auf wenig Selbstreinigungskraft innerhalb der Branche schließen. Ein Unrechtsbewusstsein der Journalisten, die solche Reiseangebote nutzten, zeige sich kaum. Gängig sei eher die Sichtweise: Wir nutzen die Angebote zwar, lassen uns aber durch sie nicht in unserer Berichterstattung beeinflussen. Merke: Bestechlich sind immer nur die anderen.

Auch ein normales Arbeitsmittel

Es gibt in der Branche sicher einige dreiste Schnorrer und eitle Reporter, die erwarten und nur angemessen finden, dass sie bei einer Recherche nach allen Regeln der Kunst gepampert werden. Die Mehrheit sind sie aber nicht. Für sehr viele Journalistinnen und Journalisten sind Pressereisen ein normales Arbeitsmittel, das sie seriös nutzen. Der chronischen Finanznot und dem Honorargeiz vieler Redaktionen ist geschuldet, dass diese Reiseangebote inzwischen oft die einzige Möglichkeit sind, um vor allem im Ausland Geschichten vor Ort zu recherchieren und problemlos Kontakte zu interessanten Interviewpartnern zu bekommen, die den Kolleginnen und Kollegen sonst verwehrt blieben. Viele gute Geschichten würden nicht geschrieben, wenn niemand mehr Pressereisen nutzte – zumindest so lange sich an den Reise- bzw. Recherchebudgets der Redaktionen nichts ändert.

Sich der „blinden Flecken der Finanzierungsmodelle in sehr, sehr vielen Redaktionen“ intensiv anzunehmen, legte die Publizistin Carolin Emcke der Branche nahe, als sie auf der nr-Jahresversammlung 2015 über den derzeitigen Vertrauensverlust des Publikums gegenüber den Medien sprach: „Wie viele Reiseteile werden komplett ohne jede Unterstützung von Reiseunternehmen finanziert? Wie viele Geschichten werden finanziert durch ein Unternehmen oder eine Partei, die Objekt derselben Geschichte ist?“, fragte sie kritisch. „Könnten diese Texte es aushalten, dass die Leserinnen und Leser in einem Kasten darüber informiert werden, wie diese Texte entstanden sind? Wenn Sie diese Frage mit Nein beantworten, ist es eine Praxis, die wir dringend ändern müssen!“

Regelwerke und Richtlinien

Die Signale, dass man an den gängigen Praktiken dringend etwas ändern will, sind nicht grade gewaltig. Dennoch gibt es in den Medienhäusern längst Diskussionen darum, wie sich ein seriöser Umgang mit den kostenlosen Reise- und Rechercheangeboten von Tourismusbüros, Agenturen und PR-Abteilungen von Unternehmen und NGO’s organisieren lässt. An Regelwerken und neuerdings Compliance-Richtlinien mangelt es nicht.

Die reine Lehre vertritt dabei der Pressekodex des Deutschen Presserats: „Recherche und Berichterstattung dürfen durch die Annahme von Geschenken, Einladungen oder Rabatten nicht beeinflusst, behindert oder gar verhindert werden“, heißt es in Ziffer 15, Richtlinie 15.1. Und weiter: „Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich“ – womöglich eine der am häufigsten missachteten Forderungen des Kodexes.

Pragmatischere Züge haben die „Verhaltensregeln“ der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ): „Wir erwarten von den beauftragenden Medien, dass sie eine unabhängige Recherche wirtschaftlich ermöglichen“, heißt es da. Aber weil offenbar die Hoffnung darauf gering ist, folgt gleich der Hinweis: „Eine Rechercheunterstützung seitens Dritter kann akzeptiert werden, solange damit keine expliziten inhaltlichen Verpflichtungen verbunden sind.“

„Jeder Journalist würde natürlich lieber unabhängig reisen, jedoch lassen das vor dem Hintergrund der niedrigen Honorare die eigenen Budgets in der Regel nicht zu, und die meisten medialen Auftraggeber wollen Reisekosten nicht übernehmen“, schildert Jürgen Drensek, seit über 30 Jahren Reisejournalist und Ehrenpräsident des VDRJ in einem Interview 2013 die „natürlich suboptimale“ Ausgangslage seiner freien Kolleginnen und Kollegen. Selbst Flaggschiffe des Qualitätsjournalismus wie ZEIT und ZEIT Online, die in ihren Richtlinien klarstellen, dass „Reisen im Rahmen journalistischer Berichterstattung“ selbst bezahlt werden, nehmen ihr Reiseressort von dieser Regel aus. Man nehme hier „bei einzelnen Reisen die Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern, Tourismusagenturen, Veranstaltern, Fluglinien oder Hotelunternehmen in Anspruch“ und kennzeichne die Geschichten entsprechend. Den Presserat wird’s freuen.

Schmutziger Schnee von gestern

Ausschweifende Pressereisen zu Autopräsentationen inklusive opulenter Gastgeschenke hält Oliver Schrott für schmutzigen Schnee von gestern. „So etwas kommt heute meines Wissens höchstens noch in Ausnahmefällen vor, mir ist es gar nicht bekannt“, berichtet der Chef und Gründer der Kölner Agentur Oliver Schrott Kommunikation, die Kunden wie Mercedes, Daimler oder auch ThyssenKrupp betreut. Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 und den damit einhergehenden Budgetkürzungen in Unternehmen erlebe er einen gegenteiligen Trend: „Quer durch die ganze Industrie ist der Aufwand, der mit diesen Reisen betrieben wird, deutlich gesunken“, sagt Schrott. „Der touristische Anteil wurde massiv zurückgefahren und alles ist sehr viel nüchterner und sachlicher geworden.“ Daran hätten beide Seiten ein Interesse: die Unternehmen, die sich in großer Zahl inzwischen strenge Compliance-Regeln gegeben hätten, und die Journalisten, die immer mehr in immer kürzerer Zeit arbeiten müssten. „Journalisten wollen es total zeiteffizient haben. Wo früher der Reiz einer Reise auch in den Rahmenprogrammen lag, heißt es heute: ,Könnt Ihr das nicht weglassen?‘“

Oliver Schrott kennt die Autobranche von beiden Seiten: Er begann seine Karriere vor 25 Jahren als Automobilfachjournalist bei der Auto-Zeitung, nahm selber häufig an Journalistenreisen teil, dann gründete er seine Agentur OSK. Sich einfach aus dem Autopräsentations- und Pressereisen-Business raushalten kann ein Autofachjournalist nicht, meint er. Es fehle sonst ein wesentliches Element der Recherche: „An Fahrpräsentationen der Hersteller teilzunehmen ist die einzige Chance, zu einem frühen Zeitpunkt ein neues Auto zu fahren. Es kommt meist erst Monate später in den Handel“, sagt Oliver Schrott. „Wenn ich also diesen Job gut machen will, muss ich die Möglichkeit annehmen, die mir der Hersteller bietet, um das Auto zu fahren – und das ist in der Regel im Rahmen von Pressereisen.“

Schrott vertritt die These, dass es für Hersteller nicht möglich sei, sich durch besonders opulente Reisen eine Willfährigkeit von Journalisten zu erkaufen oder ihr Kritikbewusstsein lahmzulegen. Und das sei es auch früher nicht gewesen. „Ein Auto wird ja nicht dadurch besser, dass das Essen leckerer oder das Umfeld schöner war. Wenn jemand zu unkritisch schreiben würde, flöge das als Gefälligkeitsjournalismus auf und könnte die Reputation des Journalisten beschädigen. Damit würden sich vor allem freie Journalisten, die inzwischen den Autojournalismus dominieren, selbst schaden.“

Eher die Anzeigenabteilung

Der Agenturchef sieht die wahre Grauzone woanders: „Wenn es in Redaktionen eine gewisse Willfährigkeit gibt, hängt sie eher damit zusammen, dass die Anzeigenerlöse zurückgehen und die Verlage befürchten, eine Autofirma als Anzeigenkunden zu verlieren. Die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen davon spielen mit Sicherheit eine größere Rolle als ein Glas Champagner mehr auf einer Pressereise.“

Zu der von Schrott diagnostizierten neuen Sachlichkeit gehört, dass die Reisen zu Autopräsentationen und internationalen Automessen inzwischen minutiös geplant sind: „In Deutschland werden meistens Tagesangebote gemacht: morgens rein, abends weg, ohne Übernachtung. Die europaweiten Reisen haben nie mehr als eine Übernachtung: Man fliegt am ersten Tag am Vormittag rein, dann gibt es ein 24-Stunden-Programm inklusive einer Übernachtung vor Ort, und dann geht’s wieder zurück“, berichtet der Agenturchef. „Bei Veranstaltungen für deutsche Journalisten, die in USA oder China stattfinden, sind die Teilnehmer in der Regel ebenfalls nur eine, maximal zwei Nächte vor Ort, eine Nacht im Flugzeug und das war‘s. Von einem großen Lustgewinn kann man da nicht mehr sprechen.“

Auch bei Pressereisen von Hilfswerken, Umweltschutzorganisationen, Entwicklungshilfediensten oder politischen Stiftungen jeglicher Couleur warten meist enge Zeitpläne auf die Teilnehmenden. Natürlich dienen auch diese Reisen zur Eigen-PR des Veranstalters. Aber sie bringen Journalistinnen und Journalisten in Gebiete, in denen sie sonst nicht recherchieren würden.

Politisch wichtige Themen

Welche regionale Tageszeitung würde es sich leisten, Reporter zu Bauern nach Guatemala zu schicken, um wie bei einer Adveniat-Pressereise aus erster Hand etwas über die Auswirkungen von internationalen Handelsabkommen auf die Ärmsten zu erfahren? Welcher lokale Radiosender hätte das Budget locker, um O-Töne zum Thema Menschenhandel aus der Republik Moldau oder aus der Ukraine zu besorgen, wohin beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung Multiplikatoren wie Journalisten einlud? Wie könnte eine freie Journalistin eine Reise zu Gedenkorten der Naziherrschaft mit dem intensiven Kennenlernen osteuropäischer Kolleginnen und Kollegen verbinden, wie es die Studienreise des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks möglich macht (siehe Seite xx)? Für Journalistinnen und Journalisten lautet die Abwägung: Mache ich die Berichterstattung auf Basis einer Pressereise – oder lasse ich sie sein, obwohl es ein politisch wichtiges Thema ist?

Adveniat beispielsweise lädt Journalisten regelmäßig nach Lateinamerika ein. Die Reiseprogramme des bischöflichen Hilfswerks aus Essen dauern in der Regel eine Woche und sind bis in die Nachtstunden vollgepackt mit Vorträgen, Gesprächen, Projektbesuchen und anderen Exkursionen. „Wir sagen von vornherein, dass das keine Aida-Tour wird“, sagt Christian Frevel, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit. „Normalerweise übernachten wir in kirchlichen Häusern oder bei den Projektpartnern; das kann durchaus mal sehr einfach zugehen. Nur, wenn es nicht anders geht, schlafen wir in Hotels.“

Adveniat veranstaltet jährlich eine Pressereise, um seine Jahresaktion vorzustellen. Hinzu kommen weitere Pressereisen zu besonderen Kampagnen, bei denen Menschenrechtsfragen häufig im Mittelpunkt stehen. In diesem Jahr war eine Journalistengruppe in Guatemala. Die Teilnehmer machten unter anderem eine Exkursion mit Übernachtung in einfachsten Verhältnissen bei Maya-Familien, deren Existenz durch internationale Handelsabkommen zerstört wird, und sie bekamen Einblicke in Projekte, die sich gegen die Ausbeutung beim Gold- und Silberabbau durch internationale Unternehmen im Land wehren. Hintergrundgespräche mit Betroffenen, mit dem deutschen Botschafter, mit Bischöfen und Mitarbeitern der Förderprojekte waren ebenso möglich wie mit der Menschenrechtskommission von Guatemala; für Übersetzungen wurde gesorgt. „Wir haben gemerkt, dass die Journalisten noch mehr Sachinformationen zum Land und zum Thema haben wollen“, erzählt Frevel. „Wir schicken deshalb jetzt immer auch einen unserer Länderreferenten des entsprechenden Landes mit.“

Für das Angebot geballter Information inklusive der Vermittlung von Gesprächspartnern, an die man als deutscher Journalist in Lateinamerika nicht unbedingt bekommen würde, erwarte Adveniat im Gegenzug auch etwas von den Journalisten, sagt Christian Frevel: beispielsweise die Teilnahme an einem Vortreffen. Und sie sollen etwas über die Reise veröffentlichen. Alle sind aufgerufen, mindestens eine erlebte Episode aus der Reise im Blog „Redaktion Adveniat“ zu veröffentlichen. Was und wie jemand blogge, sei dabei seine Sache, erklärt Christian Frevel: „Wir sind da offen und redigieren auch nicht rein.“

Außerdem fordert das Hilfswerk – wie beispielsweise auch die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn – von den Teilnehmenden ihrer Pressereisen die Übernahme eines Teiles der Reisekosten. „Wir erwarten von den einzelnen Teilnehmenden einen Kostenbeitrag zwischen 700 und 900 Euro“, so Frevel. Manche Redaktionen – etwa beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – begrüßen diese Regelung ausdrücklich und legen Wert darauf, sagt der Abteilungsleiter. Andere Medien zögen sich dagegen spontan zurück, wenn sie Kosten übernehmen sollen. Eine noch größere Hürde dafür, Teilnehmende aus Redaktionen zu finden, sei die Dauer der Reise. „Wir wollen die Leute für eine Woche haben. Das ist lang“, sagt Frevel.

Redaktionen geben die Zeit nicht

Wie es gelingt, Journalisten überhaupt für Reiseangebote aus dem Redaktionsalltag herauszueisen, fragen sich auch Frevels Kolleginnen von Belgien Tourismus Wallonie-Brüssel in Köln. Das Verkehrsamt veranstaltet gut sechs Mal im Jahr Gruppenreisen, die in der Regel höchstens bis zu drei Tagen dauern. „Bei festangestellten Redakteuren ist das Problem, dass sie sich für Pressereisen Urlaub nehmen müssten. Das möchten oder können sie nicht“, berichtet Pressereferentin Anne Weger. Der Anbieter übernimmt Anreise, Unterkunft, Essen, Guides und Transfers. Dass Journalisten dafür selbst bezahlen wollten, sei selten. „Das machen nur ein paar Journalisten und ein paar Redaktionen wie beispielsweise dpa, ADAC Reisemagazin und der Stern.“ Für das Verkehrsamt ist die Bilanz einer solchen Reise positiv, wenn danach viel veröffentlicht wird. „Je mehr Teilnehmer, desto mehr Berichte“, ist die Faustformel. „Da aber fast immer alle Journalisten berichten, lohnen sich die Reisen bisher immer“, stellt Weger fest.

Die Angebote sind so organisiert, dass auch für eigene Recherche „nahezu immer für ein paar Stunden oder einen halben Tag“ Zeit bleibt. Das Büro unterstützt auch einzelne Rechercheprojekte, manchmal mehrfach pro Monat. „Aber das hängt von der Anfrage ab“, sagt Weger. „Je klarer Idee, Ziel und Medium eines solchen Projekts umrissen werden können, desto eher können wir es unterstützen.“

Nach Wegers Beobachtung haben sich die Ansprüche der Reisejournalisten geändert. Man wolle die Geschichten heute oft anhand von Personen erzählen. „Vor ein paar Jahren ging es oft noch um die Dinge, die man sich anschauen konnte, wie die fertige Kunstausstellung oder die Modekollektion. Heute ist es gewünscht, dass der Künstler durch die Ausstellung führt oder man im Atelier mit dem Designer ein Interview führen kann. In den Veröffentlichungen finden sich diese Personen dann als zentrales Element wieder.“

Spezielle Reisen für Blogger verlangten noch einen anderen Zuschnitt: „Etwas selber zu erleben ist hier ein wichtiger Faktor“, erklärt Anne Weger. Die Touristiker sorgen dafür, dass die teilnehmenden Blogger mit einem Comiczeichner einen eigenen Comic gestalten oder belgische Pralinen selber machen können. Und sie achten darauf, dass bei Bloggerfahrten WLAN durchgängig gewährleistet ist, weil „zwischendurch immer wieder gebloggt, gepostet oder getweetet wird“.

Beitrag für individuelle Recherchen

Reiseblogger definieren das Instrument der Pressereise sowie Nähe und Distanz zu deren Anbietern ohnehin auf ihre eigene Weise. Sie können ihre Recherchen häufig nur mit Hilfe von Agenturen und Verkehrsämtern machen, sehen darin aber grundsätzlich kein Problem. „Einladungen wie Pressereisen, Bloggerreisen, Essenseinladungen und Events sowie Unterstützungen von individuellen Reisen sind probate Mittel, um zur Recherchearbeit beizutragen“, heißt es in ihrem Blogger-Kodex, der angestoßen vom Reiseblogger-Kollektiv, einem Zusammenschluss von sieben Reisebloggerinnen und Reisebloggern, in der Szene Standards setzen will. „Unsere journalistische Freiheit bleibt von jeder Unterstützung/Einladung unangetastet. Eine Unterstützung/Einladung ist keine Bezahlung. Sie ist die Grundlage dafür, dass wir unserer Arbeit nachgehen können.“ Aber: Sie sagen zu, alle Verflechtungen offenzulegen und Inhalte deutlich zu kennzeichnen, die durch eine Unterstützung oder Einladung zustandegekommen sind. Weit mehr als 300 Reiseblogger fühlen sich diesem Blogger-Kodex verpflichtet.

„Der Kodex entstand aus unseren Gesprächen darüber, wie wir klar kommunizieren können, was wir eigentlich tun“, berichtet die Kölner Bloggerin Heike Kaufhold, Mitglied des Reiseblogger-Kollektivs. Sie hatte als Journalistin lange versucht, nach den althergebrachten Regeln des Reisejournalismus zu spielen. „Es war immer mein großer Traum, für ein Reisemagazin zu schreiben“, erzählt sie. „Ich habe aber nach ewigem Pitchen von Storys gemerkt, dass diese Reisemagazine nur komplett vorgefertigte Geschichten annehmen und dass man keinesfalls losgeschickt wird, um Geschichten zu verfassen.“ Im Gegenteil: Man bekomme „nicht mal einen Auftrag, wenn man auf eigene Faust losfährt“. Für die nötige Recherche hätten die Redaktionen nicht bezahlen wollen, aber trotzdem erwartet, dass sie die Geschichte ohne Kooperationspartner erarbeitet und auf eigene Kosten reist.

Lieber nicht in der Gruppe

Kaufhold fand keinen Einstieg in das Metier, der sich für sie rechnete. Vor fünf Jahren gründete sie den Blog KölnFormat mit dem Schwerpunkt Familienreisen, auf den heute um die 35 000 Unique Visitors im Monat zugreifen. Ihre Devise: „Ich brauche Partner, damit ich meine Reisen machen kann und lote einfach Matchpoints aus.“

Anfangs nahm Heike Kaufhold als Bloggerin an Gruppenpressereisen teil, die auch Fachjournalisten besuchten. Sie wollte Kontakte machen und „Content generieren“. Doch sie merkte schnell, dass sie damit nicht die Themen umsetzen konnte, die ihr wichtig waren. „Wenn ich auf Gruppenreisen mit fünf bis zehn anderen Journalisten unterwegs bin, gibt es meist ein vorgefertigtes Programm und man kriegt vorgeführt, was die Destination oder die Agentur gerne kommuniziert haben möchte.“ Nichts für sie. Die Bloggerin ging dazu über, ihre Story-Ideen rechtzeitig bei Agenturen und Destinationen vorzustellen, um individuelle Recherchehilfen zu bekommen und Partner wie Autohersteller oder Fluglinien ins Boot zu holen, die ihr für ihre Reisen Pressefahrzeuge oder Flugtickets kostenlos zur Verfügung stellen.

Es kann ein schmaler Grat sein, bei dieser Nähe zu den Finanziers seine Glaubwürdigkeit gegenüber den Leserinnen und Lesern zu bewahren. „Natürlich fühlt man sich den Kooperationspartnern gegenüber verpflichtet“, räumt Kaufhold ein. „Aber ich versuche, vorab Möglichkeiten auszuloten und zu klären, was alle Beteiligten von der Geschichte erwarten können. Ich muss mir da bisher nichts ankreiden lassen und versuche, die Geschichten so umzusetzen, wie sie für mich und meine Leser interessant sind.“ Bei einer Recherche komme zwar immer eine Geschichte heraus, die den jeweiligen Partner involviere, es „entstehen aber viele weitere, die mit diesem Partner an sich nichts zu tun haben, aber ohne ihn nicht möglich wären“.

Transparenter Umgang

Sie geht im Blog offen damit um, nennt ihre Kooperationspartner unter den Texten oder macht deutlich, wenn ein Text als Werbung bezahlt wurde. „Das Wichtige ist, dass man das in irgendeiner Form so klar wie möglich kommuniziert und dass man versucht, sich so authentisch wie möglich im Netz zu bewegen.“ Auch zweifelhafte Angebote erreichen die Reisebloggerin inzwischen, wie das eines Campervermieters zu einer „individuellen Pressereise“ quer durch England. Im Gegenzug erwartete er von ihr quasi eine kostenlose Marketingkampagne. Heike Kaufhold empfand das als unverschämt. Sie lehnte ab.

Kaufhold hat ein Faible für Orte, die man nicht auf den ersten Blick mit Urlaub in Verbindung bringt. Detroit zum Beispiel, wo sie mit ihren Söhnen zwei Wochen verbrachte, um zu zeigen, dass es auch mal ein Städtetrip ,off the beaten track‘ sein darf. Diese Reise bezahlte sie selbst. „Ich versuche, mir Budgets freizuhalten, um solche Wunschgeschichten umzusetzen.“ Teilweise setzt sie auch auf eine Mischfinanzierung, zum Beispiel bei ihrer nächsten Reise nach Seoul. „Ich habe den Flug selbst bezahlt und arbeite vor Ort mit dem Südkoreanischen Tourismusbüro zusammen“, erklärt die Bloggerin. „Dass ich das so mache, heißt nicht, dass andere Reiseblogger es ebenso machen. Bei mir ist es speziell, weil ich Kinder habe. In der Zeit, in der ich alleine verreisen kann, setze ich Geschichten um, die ich nicht recherchieren kann, wenn sie dabei sind. Zum Beispiel einen Roadtrip zum Nordkap.“

Klarer innerer Kompass

Sind Pressereisen also ein fragwürdiges Angebot oder eine völlig normale Recherchemöglichkeit? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Pressereisen, soviel ist klar, verlangen in allen Spielarten einen klaren inneren Kompass von Journalistinnen und Journalisten, damit sie als Berichterstatter für ihr Publikum glaubwürdig bleiben. Worauf lasse ich mich ein, um an ein originelles Thema, einen guten Interviewpartner zu kommen? Worauf nicht? Diese Grenze muss jeder selbst sorgsam ziehen. Bleibt nur zu hoffen, dass ihm seine finanzielle Situation dabei überhaupt eine Wahl lässt.||

Carmen Molitor

 

JOURNAL 6/15

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