Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

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Papier ist geduldig: Sind Abonnent:innen das auch?

18.10.2021

Weil graphisches Papier für die Zeitungsproduktion derzeit extrem knapp und teuer ist, erscheint das Mindener Tageblatt vorerst mit weniger Seiten als gewohnt. Vor welche Herausforderungen der Verlag dadurch gestellt wird und wie Leser:innen darauf reagieren, darüber sprach Kristian van Bentem, stellvertretender Landesvorsitzender DJV-NRW, mit MT-Chefredakteur Benjamin Piel.

Herr Piel, das Mindener Tageblatt ist deutlich dünner geworden. Liegt tatsächlich ein Papierbeschaffungsproblem vor? Oder ist es eher eine Kostenfrage, die den Verlag Bruns dazu gebracht hat, mit der Umfangsreduzierung auf die Papierpreisexplosion zu reagieren?

Piel: Zunächst einmal ist es nicht deutlich dünner geworden. Wir reden im Schnitt über vier Seiten weniger pro Tag. Hintergrund ist tatsächlich ein Beschaffungsproblem. Wir sind in einer ernsthaften Krisensituation, die niemand toll findet – ganz im Gegenteil. Sie liegt uns allen schwer im Magen. Das gilt letztlich ja für die ganze Branche. Aber zumindest für unser Haus kann ich in aller Deutlichkeit versichern, dass die Umfangsreduzierung definitiv keine Sparmaßnahme als Reaktion auf die Kostenexplosion ist. Die gibt es natürlich zweifelsohne. Sie wird sich im nächsten Jahr wahrscheinlich auch noch fortsetzen und wohl leider dazu führen, dass viele Zeitungsverlage ihre Abonnementpreise erhöhen müssen. Das wäre dann eine Reaktion auf die Kostenexplosion beim Papier. Aber in der jetzigen Situation hat die Reduktion der Seiten bei uns nichts damit zu tun, sondern ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. 

Wie dramatisch ist die Knappheit für die Produktion beim MT?

Piel: Wir könnten – Stand jetzt – zwar erst mal noch im gewohnten Umfang produzieren. Aber die Frage ist angesichts der Lieferengpässe der Papierindustrie, wie lange noch? Unser oberstes Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir das ganze Jahr über erscheinen können. Deshalb haben wir uns entschieden, jetzt unsere Umfänge zu reduzieren, um Reserven zu haben. Lieber jetzt angesichts der erheblichen Engpässe auf dem Papiermarkt den Umfang reduzieren, als irgendwann vor dem Problem zu stehen, nur noch Notausgaben drucken zu können.

Auf welche Inhalte müssen die Leser:innen seit rund zwei Wochen verzichten? 

Piel: Unter der Woche im Durchschnitt auf vier Seiten. Am Wochenende reden wir eher von acht oder auch zwölf Seiten weniger, weil wir insbesondere unser Wochenendmagazin mit unter anderem Reiseberichten, Wochenendreportage und Interview der Woche fast ganz rausgenommen haben. Immer auf Basis der uns bekannten Daten und mit der Maßgabe, wie viel Betrachtungszeit auf den einzelnen Seiten liegt. Wir lassen möglichst keine Seiten weg, von denen wir wissen, dass sie besonders beliebt sind, sondern Seiten, von denen wir wissen, dass sie eher von einem speziellen, kleinen Publikum gelesen werden. Unter der Woche ganz rausgenommen haben wir zum Beispiel das Fernsehprogramm. Da können wir darauf verweisen, dass wir auch ein wöchentliches Programmmagazin haben. Auch auf so etwas wie Anzeigen aus dem eigenen Haus verzichten wir größtenteils.

Was ist beim Streichen tabu?

Piel: Insbesondere der Lokalteil, den wir beim MT vorne in der Zeitung haben statt hinten. Das ist mir persönlich auch das Wichtigste. Und das deckt sich auch mit den Erkenntnissen, die wir zum Leseverhalten haben. Wir messen das sehr intensiv bei unserem E-Paper, und da stellen wir für den Lokalteil sehr hohe Betrachtungszeiten fest. Deshalb versuchen wir, die lokalen Inhalte möglichst so zu belassen, wie sie sind. 

Papier ist bekanntlich geduldig. Aber wie geduldig sind Abonnent:innen, wenn gewohnte Printumfänge plötzlich reduziert werden?

Piel: Es zahlt sich aus, dass wir alles sehr offensiv kommuniziert haben, statt damit hinterm Berg zu halten. Anders, als andere Häuser das getan haben, wie ich inzwischen erfahren haben, die das Thema gar nicht oder eher verschämt offengelegt haben. Natürlich könnte man in so einer Situation auch sagen: Ach komm, eine Reduzierung um vier Seiten – der eine oder andere merkt das doch vielleicht gar nicht. Und wer dann feststellt, dass das TV-Programm weg ist, und sich meldet, dem kann man das dann ja erklären… Aber mir ist es immer ein Anliegen, Transparenz herzustellen. Und nicht nur wir leiden ja derzeit unter der Mangelwirtschaft. Deshalb haben wir unsere Kommunikation eingebettet in eine ganze Themenseite zu Branchen in der Region, die mit Materialknappheit zu kämpfen haben. Dazu gab es ein „In eigener Sache“, um unsere Situation transparent zu machen und den Weg, wie wir damit umgehen.

Wie viele Beschwerden gibt es?

Piel: Natürlich gibt es auch Kritik, und das ist auch vollkommen in Ordnung. Aus Kundensicht würde mich das vielleicht auch ärgern. Aber wir reden da zum Glück, so wie ich es erhofft und erwartet hatte, über sehr überschaubare Rückmeldungszahlen - rund ein Dutzend bis 20. Tendenziell gibt es sogar eher Unterstützung von Leuten, die sagen, dass sie es gut finden, wie offen wir mit der Situation umgehen. 

Es gibt ja den Schelm, der Böses denkt... Was sagen Sie zu möglichen Befürchtungen, das MT wolle unter dem Deckmäntelchen der Papierknappheit einfach mal testen, ob sich Abonnent:innen nicht auch mit einer dünneren Zeitung zufrieden geben?  Vielleicht auch über ein Ende der Papierknappheit hinaus…

Piel: Das kann ich deutlich zurückweisen. Wir reden über eine echte Notsituation. Das ist kein Testballon, um zu schauen, ob man grundsätzlich nicht auch mit 24 Seiten hinkommt. Nein, das wollen wir auf gar keinen Fall. 24 bis 28 Seiten sind eine Größenordnung, mit der wir uns selbst nicht wohl fühlen. Deshalb kann ich auch versprechen, dass das in Zukunft wieder anders wird. Sobald es irgendwie geht und die Knappheit des Papiermarkts sich gibt.

Mal andersrum gefragt: Inwieweit sehen Sie denn auch Chancen, die sich aus der Situation ergeben könnten, alte Zöpfe aus aktuell gutem Grund und zugunsten von mehr Relevanz abzuschneiden? Es gibt ja auch Stimmen, dass weniger Umfang nicht schlechteren Inhalt bedeuten muss – im Gegenteil. 

Piel: Ja, das stimmt. Aber diese grundsätzliche Frage muss man auf jeden Fall von der aktuellen Situation trennen, in der die Seitenreduzierung definitiv kein Testballon ist. Das möchte ich noch mal betonen. Unabhängig davon glaube ich, dass Zeitungen in Zukunft vielleicht tatsächlich mit weniger Seiten auskommen könnten. Aber dafür braucht man ein Gesamtkonzept. Ich stelle mir die Frage: Welche Rolle werden der Mantel und die überregionale Berichterstattung künftig im regionalen und lokalen Markt noch spielen? Da glaube ich am Horizont zu erkennen, dass das irgendwann nicht mehr eine so große Rolle sein wird. Denn immer mehr Kunden informieren sich über nationale und internationale Themen bei Medien, deren Kernkompetenz das ist. Unsere Stärke ist das Lokale und Regionale - weil das kein anderes Medium das Leben vor der eigenen Haustür so aufbereitet, wie wir das tun. 

Wie sehr braucht die Lokalzeitung den Mantel dann noch? 

Piel: Vielleicht – aber dann sind wir wirklich weit in der Zukunft – könnte ich mir vorstellen, dass eine regionale Zeitung perspektivisch nur noch regional und lokal funktioniert, dort seine Stärken noch besser ausspielt und eben nicht mehr aus Berlin und New York und wer weiß wo berichtet. Weil die Menschen sich diese Informationen einfach woanders holen und sie an anderen Stellen kostengünstiger oder sogar kostenlos bekommen können. Wir sind aber, so glaube ich, noch in einer Phase, in der die Zeitung für viele Menschen immer noch ein Medium ist, das alles abdeckt und von dem sie Informationen breit gefächert bekommen möchten. Insofern ist das erstmal reine Zukunftsmusik, und eine Umsetzung so einer Idee wäre derzeit absolut verfrüht.

Kommen wir noch mal von der Zukunftsmusik zurück zur Gegenwart: Die Politik hat den Medien im vergangenen Jahr im Zuge der Corona-Pandemie den Status als Teil der kritischen Infrastruktur zugebilligt. Wünschen Sie sich, damit das nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt, von der Politik gegebenenfalls auch regulatorische Maßnahmen, um Tageszeitungen ausreichend Papier zur Verfügung zu stellen?  

Piel: Das ist ein Weg, über den ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Und ich wünsche mir, dass Journalismus unter Bedingungen gemacht werden kann, die keine staatlichen Maßnahmen erfordern. Je weniger Angewiesensein auf den Staat nötig ist, desto besser. Deshalb bin ich da eher skeptisch und weiß auch nicht, ob das überhaupt möglich wäre, staatlicherseits Einfluss zu nehmen, um eine bestimmte Menge Papier für den Zeitungsmarkt zur Verfügung zu stellen.

Die Verlage müssen also selbst irgendwie durch die Papierkrise kommen?

Piel: So ist es. Und eine Weile geht das auch. Sollte man aber irgendwann feststellen, dass sich der Markt gar nicht mehr erholt und vielleicht auf Jahre hin nicht mehr genug Zeitungspapier zur Deckung des Bedarfs produziert würde, dann hätten wir natürlich ein Problem. Dann müsste man vielleicht auch noch mal über andere Optionen nachdenken, etwa das staatliche Eingreifen. Aber ich hoffe, dass es eine Ausnahmesituation ist.

Für alle, die nicht so geduldig sind wie Papier: Wann dürfen die Leser:innen des MT wieder auf gewohnte Umfänge hoffen?

Piel: So gerne ich das auch wollte - das kann ich wirklich nicht seriös sagen. Wir gucken da in einen Nebel hinein und wissen nicht, wann er sich lichtet. Es wäre schön, wenn wir sagen könnten: Liebe Leute, beißt bitte mal vier Wochen die Zähne zusammen, und danach ist es wieder gut. Aber wir müssen im Moment leider offen sagen, dass wir es nicht genau wissen. Das ist unbefriedigend, aber so ist es leider. Wir haben uns jetzt erst mal darauf eingestellt, dass wir bis Ende des Jahres so durchkommen und dann im neuen Jahr hoffentlich wieder auf dem gewohnten Stand sind. Aber wir fahren die Umfänge natürlich auch gerne früher wieder hoch, sobald wir wissen, dass wir wieder verlässlich Papierlieferungen bekommen und unsere Position der vorausschauenden Vorsicht aufgeben können.

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