Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Womit Journalistinnen und Journalisten sich 2016 befassen sollten

Das wird heiß

Niemand hat eine Kristallkugel, um zu sehen, was das Jahr 2016 für den Journalismus bringen wird. Allerdings ist die auch nicht zwingend nötig. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, bemerkt von selbst, wo sich Trends entwickeln. Im Zweifel hilft zusätzlich ein Blick in die USA.

Snapchat, Periscope, Influencer – diese Wörter sollten Sie sich fürs neue Jahr merken. Periscope gehört zu Twitter, und die App ermöglicht es jedem, live mit dem Smartphone zu streamen, also Filme während der Aufzeichnung direkt im Internet zu übertragen. Live-Schalten gab es auch früher schon, aber sie waren teuer und technisch aufwändig. Heute braucht man nur noch ein Smartphone und entweder W-LAN oder eine sehr gute Datenflat – und los geht’s.

Kein Wunder, dass schon 2015 Journalisten Periscope einsetzten – beispielsweise Martin von Mauschwitz, der live für den WDR von einer Demonstration in Köln berichtete. Außer Periscope gibt es weitere Apps, mit denen ein Live-Stream möglich ist. Darum ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Live-Streaming 2016 ein echter Trend wird. Diese Apps sind sehr einfach zu benutzen. Allerdings sollten die technischen Möglichkeiten auch mit Bedacht eingesetzt werden: Die Bergung eines Toten zu streamen, wie im Saarland im Dezember 2015 geschehen, ist medienethisch mindestens fragwürdig.

Natürlich kann der Stream nicht alleine stehen: „Er wird Teil der Berichterstattung“, sagt Mike Schnoor, Senior Partner bei Guts & Glory, einer „Manufaktur zur Digitalisierung für Medien“. Im besten Fall werde die Live-Übertragung in einen langen Hintergrundbericht eingebettet, der mit etwas Zeitverzug zum Geschehen veröffentlicht wird. Den wiederum könne man auch anreichern mit den Tweets anderer Zeitzeugen oder mit Instagram-Fotos – natürlich nur, solange das mit dem Urheberrecht vereinbar ist. So verknüpft man geschickt die einzelnen Kanäle miteinander.

Snapchat: die Jungen erreichen

Snapchat ist eine weitere App, die sich Kollegen 2016 anschauen sollten. Junge Medienrezipienten waren schon immer gerne unter sich. Darum sind viele von ihnen auf Facebook nicht mehr sehr aktiv, und auch Instagram ist ihnen schon zu sehr Mainstream geworden. Snapchat dagegen ist für viele noch Neuland. Über die App kommunizieren die Nutzer ähnlich wie bei Instagram mit Fotos und Videos. Und trotzdem ist Snapchat ganz anders: Die Inhalte können angeblich nur 24 Stunden angesehen werden und zerstören sich dann von selbst. Diese Fotos und Videos kann der normale Nutzer als „Meine Geschichte“ abspeichern, ansehen können sie nur seine Freunde – oder die ganze Welt. Je nachdem, welchen Haken man setzt.

„US-amerikanische Medien sind auf Snapchat schon recht aktiv“, sagt die Medieninnovationsexpertin Ulrike Langer, die in Seattle lebt. Dort ist sie nah dran an den Entwicklungen, die mit Zeitverzug auch in Deutschland zum Trend für den Journalismus werden könnten. National Geographic, Buzzfeed, MTV, Vox oder Daily Mail – sie und weitere Medien sind bereits auf Snapchat und erzählen dort ihre Geschichten. „Snapchat wächst rasant“, sagt Ulrike Langer. „Die Plattformbetreiber gehen aktiv auf Medienmacher und Werbekunden zu, und was dabei herauskommt, ist hochprofessioneller Inhalt, multimedial – und durchaus beeindruckend.“ Dass Snapchat 2016 ein Trend werden könnte, sieht man übrigens auch daran, dass sich dort gerade sehr viele deutsche Journalisten registrieren.

Auch wer nicht „jeden Mist“ mitmachen will, sollte diese oft schnelllebige Welt im Blick halten: Wenn sich ein soziales Medium wie Snapchat oder eine andere Anwendung zum Trend entwickeln, ist es sinnvoll, sich einen eigenen Eindruck davon zu verschaffen. Speziell die Kurz-Videos auf Snapchat kann nur bewerten, wer sie auch gesehen hat. Wenn man nach einiger Zeit das Gefühl hat, damit nicht warm zu werden, hat man es wenigstens versucht. „Außerdem sollte man im Hinterkopf behalten, dass diese Techniken und Apps nicht nur Journalisten zur Verfügung stehen“, sagt Mike Schnoor. „Jeder kann sie nutzen, und viele Nicht-Journalisten nutzen sie bereits. Sie erwarten das auch von den Medien, die sie rezipieren, denn diese Techniken gehören für sie längst zum Alltag.“

News nur für dich

Ein weiterer Trend wird den Journalismus künftig noch stärker umtreiben als bisher: die Personalisierung von Nachrichten. Filter helfen Internetnutzern schon lange, Inhalte zu selektieren: Bei Twitter folgt man denen, die etwas Interessantes zu sagen haben, ebenso bei Facebook. Mit dem RSS-Feed kann man sich schon viele Jahre die aktuellen Onlineinhalte liefern lassen. Und auch beim Fernsehen oder Radio konnte man schon immer gezielt ein-, aber auch ausschalten – oder sich eben berieseln lassen.

Messaging-Dienste wie WhatsApp machen die Personalisierung von Nachrichten jetzt allerdings noch einfacher. Die BBC experimentiert schon seit einiger Zeit damit. So konnte man sich etwa die Breaking News zur Wahl in Indien per WhatsApp schicken lassen. In der Zwischenzeit kommuniziert die BBC aber auch über den Messaging-Dienst mit seinen Nutzern: Sie können Fotos, Videos und Augenzeugenberichte auf diesem Weg an den britischen Sender schicken. Ob der Leser-, Volks- oder Bürgerreporter immer eine gute Idee sind, sei dahingestellt.

Auch deutsche Medien experimentieren bereits mit Messaging-Diensten. Die Schwäbische Zeitung verkündete im Mai 2015 eine Kooperation mit SIMSme, N24 experimentierte mit WhatsApp, SpiegelTV nutzte ab September 2014 den Messaging-Dienst für Filmtipps. Gibt man allerdings die entsprechende Nummer heute ein, um SpiegelTV als Kontakt hinzuzufügen, zeigt sich, dass der Sender zuletzt vor mehr als 100 Tagen online war.

„Trotzdem sind Messaging-Dienste ein immer wichtiger werdender Kanal, um Nutzer zu erreichen“, sagt Ulrike Langer. WhatsApp ist in den USA zwar eher unbekannt, da dort jeder eine SMS-Flat hat und somit keinen SMS-Ersatzdienst braucht, um Geld zu sparen. Trotzdem experimentierten auch dort die Medien mit diesen Kanälen. „Die Frage muss immer lauten: Wo ist meine Zielgruppe?“, sagt Ulrike Langer. „Will ich sie erreichen, muss ich da sein, wo sie auch ist.“ Mike Schnoor ergänzt: „Wichtig ist allerdings, keine eigenen Kanäle zu entwickeln, sondern die zu nutzen, die bereits existieren. Einen eigenen Messenger machen zu lassen, würde beispielsweise keinen Sinn ergeben, da sehr viele potenzielle Leser schon bei WhatsApp sind, und nicht wegen ihrer Tageszeitung den Messenger wechseln werden“, sagt der Internetexperte.

Snapchat, Periscope und WhatsApp haben eines gemeinsam: Verschiedene Medienformen wachsen stärker zusammen. Periscope ist Live-Video im Internet. Snapchat ist Foto, Film und Kurz-Text online, und auch bei WhatsApp lassen sich Fotos und Videos verschicken – oder Links zu längeren Texten im Internet.

Seminare des DJV-NRW

Am lebenslangen Lernen geht gerade für Journalistinnen und Journalisten kein Weg vorbei. Sonst verpassen sie schnell den Anschluss an die Entwicklungen in ihrer Branche. Um den Markt der journalistischen Weiterbildung in NRW transparenter zu machen, hat der DJV-NRW ein Bildungsreferat eingerichtet. Das kümmert sich zum einen um Kooperationen mit Bildungsträgern in NRW, die DJVMitgliedern einen Rabatt gewähren. Zum anderen konzipiert die Bildungsbeauftragte Bettina Blaß DJV-Angebote zu gewerkschaftlichen und zu berufsspezifischen Themen, die üblicherweise nicht wirtschaftlich zu realisieren sind. Das Ziel ist, DJV-Mitglieder fit für die Zukunft zu machen.

www. djv-seminare.de

Die multimediale, bunte, vor allem aber personalisierte Medienwelt hat jedoch auch einen gewaltigen Nachteil: Man lebt als Rezipient immer mehr in seiner eigenen Filterbubble, sieht also zunehmend nur noch das, was die eigene Meinung unterstützt. Gerade Journalisten sollten sich bemühen, ihren Blick auf die Gesellschaft zu weiten und nicht zu verengen. Das heißt: mit offenen Augen durchs Leben gehen und ab und zu Medien konsumieren, die man sonst eher links liegen lässt.

Für Medienhäuser, die sich vor Periscope, Snapchat oder Messenger-Diensten drücken wollen, hat Mike Schnoor noch einen Tipp: „In naher Zukunft wird das Tablet am Kühlschrank hängen. Die Frontscheibe unseres fahrerlosen Autos wird ein Bildschirm sein. Und einen Kleinstmonitor werden wir am Handgelenk haben. Wer die digitale Verzahnung ernst nimmt, überlegt sich schon jetzt die passenden Geschäftsmodelle dafür. Google, Apple & Co machen das schon lange.“ Wer zu spät kommt, den wird auch hier das Leben bestrafen. Oder der Medienkonsument.

Selbermachen: Trends für Freie

Eigentlich sollten die Zeiten für freie Journalisten immer besser werden: Da sich Redaktionen ständig verkleinern, wird Arbeit ausgelagert. Aber das Problem bleibt, dass viele Medienhäuser ihre Freien nicht ausreichend bezahlen. Zudem sind immer mehr Freie auf dem Markt unterwegs. Wer von seiner Arbeit leben möchte, sollte sich also eine Nische suchen. Im Wirtschaftsjournalismus beispielsweise werden Freie ganz ordentlich bezahlt. Mike Schnoor rät außerdem dazu, sich in den neuen Darstellungsformen fit zu machen und Video oder Live-Stream gleich mit anzubieten – gegen Geld natürlich, aber auch, um sich unentbehrlich zu machen.

Zudem ist es sinnvoll, übers Internet seine Inhalte selbst zu vermarkten. „Das unterlassen viele freie Journalisten noch sträflich“, sagt Ulrike Langer. Dem stimmt auch Mike Schnoor zu: „Über Twitter und Facebook kann man kostenlosen Inhalt streuen“, sagt er. Aber sobald es um Fachwissen geht, sollte man dieses auf der eigenen Homepage kostenpflichtig anbieten. „Ich glaube zwar nicht, dass man von Micropaymentbeträgen leben kann“, sagt Ulrike Langer. Der Micropaymentdienst Laterpay sei sicherlich ein netter Mosaikstein, aber sie kenne niemanden, der über diese Honorare von Lesern ausreichend verdient. Trotzdem: Viele kleine Module können am Ende zumindest zu einem netten Zubrot führen.

Jeder freie Journalist sollte außerdem Personal Branding betreiben, um so an lukrative Aufträge zu kommen. Die müssen nicht immer von klassischen Medienhäusern kommen: Auch Verbände und Unternehmen beispielsweise wollen Schulungen in Sachen „Social Media“, „Journalistisch schreiben“ oder „Pressearbeit 4.0“ – und sie zahlen häufig besser als Medienkunden.

Native Advertising

Ulrike Langer betont außerdem die Bedeutung von Native Advertisement (siehe dazu auch journalist 1/16). Was in Deutschland oft noch mit großer Skepsis betrachtet wird, sei in den USA längst ein Riesengeschäft für diejenigen, die es umsetzen – und für diejenigen, die es veröffentlichen. „In den USA machen auch so große Namen wie die Washington Post Native Advertisement“, betont Langer. Unter Native Advertisement versteht man Werbung, die sich nicht als solche abhebt, sondern angepasst ist an das, was Medien sonst veröffentlichen. Die Rede ist hier auch von „Sponsored Posts“, etwa Texten, für die ein Unternehmen bezahlt hat. Die Deutsche Bahn hat zum Beispiel mit dem Hubert Burda Verlag eine Kampagne zum Thema „Diese Zeit gehört dir“. Dazu erscheinen Artikel im Internet über die Themen „Kurze Auszeiten“, „Lesen im Zug“ und „Flirten in der Bahn“. „Zeit für dich“ hat in der Focus Online Navigation einen eigenen Punkt, oben auf der Seite steht „in Kooperation mit Deutsche Bahn“.

Ein anderer Ansatz zur Monetarisierung von hochwertigen Inhalten sind Premium-Newsletter zu einem Thema, das noch nicht von allen bedient wird, oder die Finanzierung von Newslettern über Werbeanzeigen und Kooperationen. Der Tagesspiegel hat damit in letzter Zeit sehr gute Erfahrungen gemacht, und auch erste Einzelanbieter haben entsprechende Angebote – beispielsweise einen Onlinemarketing-Newsletter für 70 Euro im Monat. „Newsletter sind in den USA gerade ein großes Ding“, bestätigt auch Ulrike Langer. „Allerdings darf man dabei nicht an das denken, was in Deutschland häufig noch verschickt wird.“ Die modernen Newsletter seien multimedial mit vielen Fotos, vollwertige Websites, die im Postfach landen. „Da gibt es keinen Medienbruch mehr vom hässlichen Newsletter zur schönen Webseite“, sagt sie. Was im Postfach lande, sei perfekt.

Pressearbeit wird multimedial

Ulrike Langer beobachtet noch einen Trend aus den USA mit Wachstumspotenzial für Deutschland: „US-amerikanische Pressemitteilungen, die in meinem Postfach landen, sind oft ebenfalls multimedial. Es geht auch hier darum, Geschichten zu erzählen“, sagt sie. Dagegen seien deutsche Pressemitteilungen oft langweilig, enthalten häufig keine Botschaft, „und sie sehen schlimm aus“. Auch der Mail-Betreff „Pressemitteilung von XX zum Thema XX“ sei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wenig förderlich.

Mike Schnoor sieht es ähnlich und kommt auf Snapchat und Periscope zurück: Denn diese beiden Apps werden künftig nicht nur den Journalismus stark beeinflussen, sondern auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Pressekonferenzen, von denen nicht per Periscope gestreamt wird, werden sehr bald sehr altmodisch wirken“, sagt er. Wer mit Journalisten auf Augenhöhe kommunizieren möchte, sollte bei der Medienentwicklung Schritt halten. „Man muss nicht immer Hochglanz liefern“, sagt er. Besser sei es, mit dem Handy einen Live-Einblick zu geben, beispielsweise von der Pressekonferenz ein Interview mit dem Vorstand zu streamen, als später eine gedruckte Pressemeldung mit seiner Rede zu verschicken. „Je nach Zielgruppe ist dafür auch Snapchat das richtige Medium“, so Schnoor.

Und noch einen Tipp hat er für die Kollegen in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: „Nehmt Influencer ernster!“ Darunter versteht man neben Bloggern auch diejenigen, die bei Twitter oder Facebook sowie auf Instagram oder YouTube besonders viele Kontakte haben. Was sie schreiben, wird gelesen und häufig auch geglaubt. Wer also mit seinen Produkten wahrgenommen werden möchte, sollte nicht nur auf Journalisten achten, die in klassischen Medien publizieren, sondern auch auf diejenigen, die die sozialen Medien professionell bedienen.||

Bettina Blaß

 

JOURNAL 1/16

Newsletter

Cookie Einstellungen