Deutscher Journalisten-Verband Landesverband Nordrhein-Westfalen

Bildjournalismus steht vor immer neuen Herausforderungen

Starke Momente

Obwohl die Budgets für guten Fotojournalismus bei vielen Zeitungen und Zeitschriften in den vergangenen Jahren drastisch gekürzt oder sogar gestrichen wurden, ist das Genre zum Glück nicht ganz verschwunden. Einige Magazine, Online-Plattformen oder Galerien zeigen immer wieder exzellente Beispiele zeitgenössischer Arbeiten und haben sich dem Erzählen von Geschichten mit der Hilfe von Fotografie verschrieben. Und Zeitschriften wie GEO, Time, Paris Match oder Stern geben weiterhin fotojournalistische Storys in Auftrag. Was macht aber Fotografie in Zeiten von Fernsehen und Web-Video heute noch so besonders? Ist es eine besondere Bildsprache der Momentaufnahme des Lebens?

Schön allein reicht nicht

„Ein schönes Foto ist wichtig – aber nicht genug. Das Bild muss zusätzlich möglichst eine Geschichte erzählen und Inhalte transportieren“, erklärt Andreas Trampe, Director of Photography beim Stern. „Der Stern bringt Dich an Orte, an die Du selber nicht kommen würdest. Weil Du die Zeit nicht dazu hast, weil Du an diesen Ort gar nicht reisen kannst, weil Du den Mut dazu nicht hast oder weil Du noch gar nicht auf die Idee gekommen bist, dich mit diesem, speziellen Thema zu beschäftigen. Das Foto erzählt die Geschichte, transportiert Inhalte und Emotionen. Deshalb ist Journalismus ohne Fotos für mich undenkbar.“

Mit seiner visuellen Ausrichtung hat der Stern eine Sonderrolle in der deutschen Medienlandschaft. Guter Fotojournalismus gehört hier zum Konzept. Fotografen werden nicht gebucht, weil sie eine Kamera halten und bedienen können, sondern wegen ihrer Bildsprache und ihrer eigenen Art, die Dinge zu sehen.

Übers Jahr gesehen arbeitet die Stern-Redaktion mit einem Stamm von 30 bis 40 deutschen Fotografen eng zusammen. Hinzu kommen Hunderte Fotografen weltweit, die der Redaktion wenig und selten zuliefern. Etwa weil sie in Uganda, Israel oder der Ukraine sitzen und nur bei Bedarf engagiert werden.

Neben dem großen Anteil professioneller Bilder veröffentlich der Stern auch einzelne Bilder von Nicht-Profis: Der so genannte Citizen Generated Content habe „eine teilweise extrem gute Qualität“, findet Andreas Trampe. Aus diesen Quellen bedient man sich zum Beispiel bei aktuellen Ereignissen gerne. „Wenn der normale Leser zum Augenzeugen wird, drucken wir dessen Fotos natürlich im Heft.“

Bilder mit Mehrwert

Im Nachrichtenjournalismus ist die erste Frage, „was zeigt das Foto?“, sagt Trampe. Zeigt es das, worüber man berichten möchte? Und zeigt es das so, dass man einen Mehrwert davon hat? Mehr Information, mehr Aufklärung, mehr Einordnung des Themas. Der Leser steht hier im Mittelpunkt. Ob es ein politisches Nachrichtenfoto ist oder ein lokales Feature-Bild – der Anspruch an das veröffentlichte Bild ist ähnlich. Gerade in diesem aktuellen Bildjournalismus sind Fotografen gut beraten, selbst kreativ zu sein, etwa bei Kamerastandpunkt oder Bildaufbau. Da kann dann sogar mal eine Bewegungsunschärfe im Bild sein, wenn es die Aussage des Bildes und des Themas unterstützt.

Redakteure, die sowohl schreiben als auch fotografieren müssen, können die modernen Anforderungen an eine journalistische Bildsprache in der Regel nicht erfüllen. Der Wegfall vieler Fotografenjobs in den Redaktionen hat deshalb in den letzten Jahren zu einem optischen Vakuum vor allem in Lokalredaktionen geführt – ein herber Verlust an fotografischer Kompetenz.

Zugleich sind die Bildhonorare gerade im Lokalen niedrig, immer mehr Redaktionsfusionen kosten Aufträge: Für Freie ist es gerade in diesem Bereich schwer, noch ihren Lebensunterhalt zu verdienen (siehe auch "Zwischen Masse und Klasse").

Persönliche Leistungsschau im Netz

Fotografen, die einzigartige Reportagen oder konzeptionelle Bildstrecken publizieren wollen, finden ihre Chance auf Online-Plattformen. Ob Einzelbild, Bildstrecke oder Audio-Slideshow – im Internet finden auch multimediale journalistische Fotoprojekte ihre Zielgruppen. Leider in der Regel als nicht-bezahlte persönliche Leistungsschau.

Aber auch einzelne Zeitungen experimentierten früh mit multimedialen Konzepten. Ein Meilenstein des konzeptionellen Fotojournalismus war und ist das erfolgreiche Projekt der New York Times: „One in 8 Million“. Die schwarz-weißen Porträts von Bewohnern New Yorks werden zusammen mit Interview-O-Tönen der Porträtierten als Audio-Slideshow präsentiert. Das Projekt, das erstmals 2010 ins Internet gestellt wurde, macht auch heute noch einen frischen Eindruck. Und das, obwohl die Schwarz-Weiß- Bilder teilweise an die Reportagefotografie aus vergangenen Zeiten erinnern.

Im modernen Fotojournalismus ist Schwarz-Weiß (S/W) absolut zeitgemäß. Vor allem in Magazinen und hier insbesondere bei Reportagen und Porträts. Für Trampe gibt es „ganze Themen, die sich perfekt dafür eignen“. Das gebe einer Geschichte zudem automatisch einen dokumentarischen Charakter.

Waren S/W-Fotos früher produktionsbedingt notwendig, sind sie im digitalen Zeitalter eine bewusstes Stilmittel, um ein Thema auf das Wesentliche zu reduzieren: das eigentliche Bild. Das Fehlen der Farbe bringt eine gewisse Subjektivität ins Spiel, die vielleicht nicht jedem gefällt. Doch „Journalismus ist zu einem gewissen Teil immer subjektiv“, erklärt der verantwortliche Stern-Fotoredakteur. „Schon durch die Auswahl der Interviewpartner oder der zu fotografierenden Protagonisten bekommt die Geschichte eine bestimmte Richtung.“

Mitten in der Welt der schnellen Digitalmedien kommt eine neue Generation von Kreativen, die wieder analog fotografieren. Hinter diesem Trend steckt der Wunsch, sich abzuheben: Sie arbeiten „entschleunigt“ mit Analog-Film, um ein anderes Produkt zu schaffen als das schnelle Nachrichtenbild. Sie komponieren ihre Bilder ganz bewusst, wissen vorher, wie sie aussehen sollen, und wollen es dann auch genau so umsetzen. Sie arbeiten sehr sorgfältig, indem sie auf „das richtige Licht oder andere, für die Aufnahme relevanten Dinge warten“. Sie wollen etwas schaffen, womit der Betrachter sich länger auseinandersetzt.

Emotionen und Atmosphäre

Eine Bildsprache, die sich nicht nur im Stern und in verschiedenen jungen Magazinen (etwa NEON), sondern auch in Business Magazinen wie brand eins erkennen lässt: Für viele junge Fotografen stehen Emotionen und Atmosphäre an erster Stelle. So entsteht eine Fotografie, die aus der Sicht der Macher eine neue Natürlichkeit mitbringt. Menschen werden „by the way atmosphärisch eingefangen und in ihrem Alltag fotografiert. Das ist den Fotografen wichtiger als die technische Qualität des Bildes“, weiß Trampe aus Erfahrung. Lieber mit vorhandenem, natürlichem Licht arbeiten, ohne Blitz. Das Motiv braucht nicht perfekt abgebildet zu sein, es gibt Farbverschiebungen, es gibt Unschärfen und es gibt hochgezogene ISO-Zahlen – also alles, was eigentlich einem technisch perfekten Foto entgegensteht.

Selbst Bilder im Instagram- oder Hipstamatic-Style sind für Trampe nicht ausgeschlossen – wenn es zur Geschichte passt, die man illustrieren bzw. erzählen möchte: Ressorts wie Kultur, Porträt, Kunst, Architektur, Landschaft erlauben eine kreativere Bildsprache als harte News.

 

Foto, Bewegtbild und Ton?

Offen ist der Bildjournalismus heute auch in Richtung Bewegtbild: Videos und multimedial aufbereitete Geschichten sind in vielen Redaktionen gefragt (siehe Kasten „Storytelling“ im Beitrag "Das Kopfkino in Gang setzen). Natürlich ist es nicht das ureigenste Bedürfnis von Fotoreportern, auch noch zu filmen. Schon gar nicht „neben“ dem Kern-Auftrag, dem Fotografieren. Das funktioniert bestenfalls in Ausnahmefällen.

Aber der Blick des Fotografen kann für einen Video-Job von Vorteil sein. Trampe hat beobachtet, dass Fotografen „anders sehen“ als Kameramänner: „Im Vergleich zu Kameraleuten denken Fotografen nicht in ganzen Sequenzen, sondern in komponierten Einzelfotos. Das Foto ist dabei immer eingefrorene Realität und zeigt eine Momentaufnahme, einen winzigen Bruchteil des Lebens.“

Doch die Bilder – ob Fotos oder Videos – sind nicht alles. Bei digitalen Geschichten im Netz spielen O-Töne oder atmosphärische Hintergrundgeräusche eine wichtige Rolle. Guter Ton und schlechtes Video-Bild gehen noch als dokumentarischer Stil durch. Mit einem schlechten Ton zu einem guten Bild kann man in der Regel kaum etwas anfangen. Wer in diesem Bereich arbeiten will, muss also auch Kompetenzen in der Audio-Aufzeichnung aufbauen.

Das gilt nicht nur für Fografen, sondern für alle Journalisten. Denn Interviews oder Aufzeichnungen von Gesprächen können zusammen mit einer abwechslungsreichen Porträtserie eine Audio-Slideshow ergeben. Neben dem erwähnten One-in-8-Million-Projekt der New York Times ist „berlinfolgen“ ein weiteres Beispiel (berlinfolgen.de). Die Fotofilm-Serie über Menschen aus Berlin erhielt 2012 den Grimme-Online-Award. In diesem Jahr ging die Auszeichung an die Macher der WDR-Multimedia-Reportage „Pop auf‘m Dorf“. Technisch steckt die Software Pageflow dahinter, mit der sich Geschichten aus Texten, Fotos, Filmen und Audios auch ohne Programmierkenntnisse in einem Fluss erzählen lassen (siehe dazu die Reportageseite des WDR).

Technik schafft neue Möglichkeiten

Neueste Technologie hält auch in der Fotografie Einzug. Keine Frage, sie erweitert die kreativen Möglichkeiten in Sachen Bildsprache ungemein. Gerade Wissenschafts- oder Landschaftsfotografen freut die rasante technische Entwicklung. Dank hochempfindlicher Kamerachips verschieben sich die Grenzen des Machbaren in der Fotografie. Hohe Kontraste bei gleichzeitig hoher Detailschärfe mit hohen ISO-Zahlen sorgen für Fotos von der Welt, die so vor ein paar Jahren nicht möglich waren.

Aber auch Reportage-Fotografen, die gerne aufs Blitzgerät verzichten und das vorhandene Licht nutzen möchten, profitieren von dieser Technik. Bilder im Halbdunkel bei ganz wenig Licht aufzunehmen ist mit den neuesten Highend-Kameras kein Problem mehr. Die Kreativen bekommen damit „wahre Nachtsichtgeräte“ an die Hand, die die visuellen Darstellungsmöglichkeiten ohne große Beleuchtungstechnik durchaus verändern. Man ist als Fotograf damit noch näher am Geschehen, die Bilder wirken realistischer. Denn bekanntlich leben viele Fotos erst von dem Licht, das durch kleine Luken eines Hallendachs fällt, oder von einer Feuerstelle, die den Raum warm mit Licht erfüllt. 

Bahnbrechend sind solche technischen Entwicklungen auch für das Bewegtbild, schießlich bringen moderne Foto-Kameras in der Regel eine Videofunktion mit. Filmen am Rande des Lichts ist so ebenfalls ohne Probleme möglich.

Eine weitere technische Entwicklung nimmt gerade rasant an Fahrt auf und kommt sicher im Laufe der Zeit in den Redaktionen an: Hochauflösende Videoformate erlauben es, Einzelfotos in druckbarer Auflösung und Größe aus dem Video herauszuziehen. Einige Fotografen experimentieren schon damit. Eine interessante Option für eher ruhige Bildsituationen. Bei Motiven, die sich schnell bewegen, ist allerdings mit Unschärfen im Bild zu rechnen. Die herkömmliche Fotografie wird weiterhin dort ihre Vorteile ausspielen, wo es auf hochauflösende und vielleicht doppelseitige Fotos geht, also im Print-Bereich. Trotzdem sollte man die Entwicklung als Fotograf im Auge behalten und sich vielleicht mit den neuesten Techniktrends vertraut machen.

Der Auftragsmarkt für Fotojournalismus ist kleiner geworden. Um Projekte verwirklichen zu können, muss man heute nicht nur themenbezogen arbeiten, sondern auch konzeptionell an eigene Projekte bzw. Auftragsarbeiten herangehen. Wer Multimedia-Pakete anbieten kann – bestehend aus Fotos, Audio und/oder Video – erhöht seine Absatzchancen. Renommierte Agenturen wie Magnum (www.magnumphotos.com) vermarkten neben Fotos mittlerweile Bewegtbilder ebenso selbstverständlich wie Nachrichtenagenturen.

Die eigene Sichtweise präsentieren

Um seine Sichtweise auf ein Thema zu präsentieren, bieten sich auch Fotobücher im Print-on-Demand-Verfahren im Eigenverlag oder die eigene App an, die je nach Thema zusätzliche Einkommensquellen erschließen können. Und nicht zu vergessen Crowdfunding (Schwarmfinanzierung) als Finanzierungsmodell: Das Sammeln von Kleinspenden über die einschlägigen Plattformen (vgl. JOURNAL 5/13) eignet sich auch für Fotoprojekte. Die damals vorgestellte US-Plattform Emphasis speziell für Fotografen und Bildjournalisten scheint derzeit brachzuliegen. Aber auch Seiten wie startnext.de oder visionbakery.com sind Anlaufstelle für Fotografen. Im Zeitalter der Digitalen Revolution ist Flexibilität gefragt, um seine Fotos zu vermarkten.

Einen Blick auf Foto-Trends und interessante Veröffentlichungen von Magazinen und Zeitschriften bietet „A Photo Editor“. Zwar werden auf diesem Blog überwiegend Artikel über amerikanische Projekte veröffentlicht. Aber wer eine Inspirationsquelle sucht, ist hier richtig. Art-Direktoren und Magazinmacher versuchen, die ganze Bandbreite an Fotografie von Tageszeitungen bis Konzept-Shootings für Corporate- und Sport-Magazine und ihre Hintergründe zu präsentieren. Sie schlagen damit die Brücke vom Foto zur Veröffentlichung.

Als Beispiel sei das bemerkenswerte Foto-Buchprojekt von Anders Petersen genannt. Es ist den Menschen der Erdbebenkatastrophe in Norditalien 2012 gewidmet. Mit seiner sehr emotionalen Bildsprache ist er dicht an den Menschen in der betroffenen Region dran, zeigt sie und viele Details aus ihrem Leben. „We get to see one of my favorite creepy-awesome-weird photos of all time“, schreibt dazu Jonathan Blaustein, einer der Verantwortlichen der Seite.

Inspirationen zum zeitgenössischen Fotojournalismus bieten auch Blogs und Online-Projekte wie photojournalismlinks.com oder www.socialdocumentary.net. Einen Blick auf aktuelle Werke und die Bildsprache von international arbeitenden Fotojournalisten erhalten Interessierte auch bei Foto8 – The Home Of Photojournalismn (www.foto8.com).

Neben Fotoplattformen im Netz zeigen darüber hinaus einzelne Fotografen Beispiele von Kollegen, die sie inspirieren. So unter anderem Travis Dewitz: Er sieht sich selbst als Dokumentarfotograf und hat eine Top-Ten-Liste von modernen und zeitgenössischen Fotojournalisten gepostet, die aus seiner Sicht bemerkenswert sind (www.dewitzphotography.com/blog).

Von der Zukunft zurück in die Vergangenheit: Inspiration kann man auch bei den alten Meistern des Fotojournalismus finden, etwa den Gründern der bekannten Fotoagentur Magnum.Ihre Werke gibt es nur im Internet und wenn man Glück hat, gedruckt zu einem günstigen Preis in einem Antiquariat.

„Der Blick in die Vergangenheit ist wichtig“, erklärt Andreas Trampe. „Die Vergangenheit zu kennen ist der erste Schritt, um die eigene Position heute zu finden. Das Wissen, wie beispielsweise der Stern-Fotograf Robert Lebeck gearbeitet hat und warum er bestimmte Bilder gemacht hat, kann hilfreich sein. Dass Leute eine Anleihe bei anderen nehmen und sich inspirieren lassen, finde ich völlig normal. Es ist unser aller Alltag.“

Zeitreise vom Schreibtisch aus

Wer sich vom Schreibtisch aus auf fotojournalistische Zeitreise begeben möchte, für den bietet das Web vielfältigste Möglichkeiten. Lohnend ist vor allem der Klick auf die Website von Life. Eine Reihe von Artikeln über Ikonen der Fotografie aus den vergangenen Jahrzehnten bietet genügend Lesestoff und ungewöhnliche Geschichten über den frühen Fotojournalismus.

Auch heute ist Fotojournalismus unverzichtbar für die Berichterstattung und noch lange nicht am Ende. Fotojournalisten sind dabei immer Zeitzeugen, die die aktuellen Sichtweisen und Perspektiven der jeweiligen Zielgruppe und Medien widerspiegeln.

Im Fokus steht zwar immer die Geschichte, doch die heutigen Anforderungen an den Job erfordern ein hohes Maß an konzeptionellem Denken, eine individuelle Bildsprache und technische Kompetenz auf allen Ebenen, um auf dem Markt bestehen zu können. Fotojournalismus bleibt Herausforderung und Chance zugleich.||

Frank Sonnenberg

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